Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
fort. »Das steht außer Zweifel. Ich jedenfalls weiß jetzt hundertprozentig, dass sie existiert. Nur ist sie anders beschaffen, als wir uns das vorstellen. Anders, als wir erwartet haben. Außerdem suchen wir nicht an der richtigen Stelle. Möglicherweise auch mit falschen Methoden. Und überhaupt: Wir haben einfach keine genaue Vorstellung von dem, was wir suchen …«
Stimmt, dachte ich. Wir suchen am falschen Ort und mit falschen Methoden nach etwas, das wir nicht kennen. Wie soll man das ernst nehmen! Das ist doch kindisch!
»Da wäre beispielsweise die ›Stimme der Leere‹«, fuhr Gorbowski fort. »Haben Sie schon davon gehört? Wahrscheinlich nicht. Vor etwa fünfzig Jahren wurde viel darüber geschrieben; heute nicht mehr, weil man nicht damit weiterkam. Verstehen Sie? Weil man es sich nicht erklären konnte, hat man behauptet, es existiere nicht. Es gibt ja genug Dilettanten unter uns. Von der Wissenschaft haben sie keine Ahnung – ob aus Faulheit oder aus Dummheit –, wissen aber vom Hörensagen, dass der Mensch allmächtig sei. Nur dass ihnen das nichts nützt … Wie blamabel! … Ein Anthropozentrismus, wie es ihn schäbiger nicht gibt!«
»Und was ist das nun – die ›Stimme der Leere‹?«, fragte Mascha mit angehaltenem Atem.
»Ein ganz eigenartiger Effekt, der in verschiedenen Sektoren des Alls auftritt. Wird das Funkgerät eines Raumschiffs auf automatischen Empfang geschaltet, fängt es über kurz oder lang etwas sehr Seltsames ein: Man vernimmt eine Stimme, die ruhig und monoton stets ein und dieselben Worte wiederholt. In einer Art Fischsprache. Seit Jahren bereits hört man diese Stimme, und es sind auch seit Jahren die gleichen Worte. Ich habe sie selbst gehört – und wie ich viele andere. Freilich spricht kaum jemand darüber, weil die Erinnerung daran nicht sehr angenehm ist: Die Erde ist unvorstellbar weit weg, das All nichts als eine große Leere, und es gibt keinerlei Störungen, höchstens ein paar schwache Geräusche. Und dann plötzlich diese Stimme – während man selbst mutterseelenallein Wache hält. Die anderen schlafen, um einen her herrscht furchterregende Stille – bis auf die Stimme. Wirklich unangenehm, das können Sie mir glauben. Es gibt Aufzeichnungen davon. Viele Wissenschaft ler haben sich geplagt, sie zu dechiffrieren, ja tun es heute noch, doch meiner Meinung nach ist das sinnlos … Und es gibt noch viele weitere Rätsel … Die Raumfahrer könnten da eine Menge erzählen, aber das tun sie nicht gern …«
Gorbowski verstummte und sagte dann ebenso traurig wie beharrlich: »Das muss man sich bloß mal vorstellen. Nein, wir haben es wirklich nicht leicht; wir wissen ja nicht einmal, worauf wir eigentlich warten. Jeden Augenblick können wir ihnen gegenüberstehen, von Angesicht zu Angesicht, und dann stellt sich womöglich heraus, dass sie weit höher entwickelt sind als wir. Dass sie ganz anders sind, als wir angenommen haben. Man faselt in dem Zusammenhang immer von Auseinandersetzungen und Konflikten, von unterschiedlichen Auffassungen, was Humanität und Güte betrifft, aber nicht davor habe ich Angst. Was ich befürchte, ist eine große, nie dagewesene Demütigung der Menschheit, ein psychologischer Schock – stolz, wie wir sind. Denn wir haben eine vortreffliche Welt geschaffen, uns ein enormes Wissen zugelegt, den Vorstoß ins Große Universum unternommen, haben geforscht, untersucht, entdeckt. Und was haben wir entdeckt? Das Universum, in dem sie zu Hause sind. Seit Jahrmillionen leben sie dort, so wie wir auf der Erde. Und sie werden sich über uns nur wundern – wo wir herkommen, und was wir inmitten all der Sterne suchen …«
Er verstummte jäh und sprang mit einem Satz auf, verharrte, lauschte. Ich zuckte vor Überraschung zusammen.
»Es donnert«, sagte Mascha zögernd und starrte ihn mit offenem Mund an. »Donnergrollen … Es wird ein Gewitter geben …«
Gorbowski aber lauschte weiter und suchte mit den Augen den Himmel ab.
»Nein«, sagte er und setzte sich wieder. »Das ist kein Donner. Es ist ein Flugzeug – dort, sehen Sie?«
In den graublauen Wolken blitzte ein kleiner, glänzender Strich auf und verschwand gleich darauf wieder. Dann hörte man von dort erneut ein schwaches Grollen.
»Jetzt kann man nur noch abwarten«, fügte er unverständlich hinzu. Dabei sah er mich an, lächelnd zwar, doch auch traurig und in angespannter Erwartung. Dieser Ausdruck währte freilich nicht lange. »Und Sie, Stanislaw Iwanowitsch«, fragte
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