Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
unterschieden, die auch Amöben in Bewegung versetzten.
Langsam und sehr vorsichtig brachte ich das Markiergerät in Anschlag und visierte den aufgeblähten Rücken des Tieres. Die kleinen silbrigen Fische stoben im Nu auseinander und verschwanden aus meinem Blickfeld; plötzlich hatte ich den Eindruck, als habe das Lid über dem riesigen, glasstarren Auge gezuckt. Ich betätigte den Abzugshahn und stieß mich sogleich vom Grund ab, um nicht mit dem ätzenden schwarzen Farbstoff in Berührung zu kommen. Als ich wieder aufblickte, war der Septopode verschwunden. Lediglich eine dichte blauschwarze Wolke breitete sich im Wasser aus und verdeckte den Grund. Ich tauchte an die Oberfläche und schwamm zum Ufer.
Es war ein heißer, klarer Tag. Über dem Wasser hing ein hellblauer Dunstschleier, der Himmel war licht und wie leer gefegt, nur hinter dem Wald ragten wie Türme unbewegliche graublaue Wolkenberge auf.
Im Gras vor unserem Zelt saß ein mir unbekannter, sonnengebräunter Mann mit bunter Badehose und einem Verband um die Stirn. Sein Körper war weniger muskulös als sehnig, als wäre das Fleisch unter seiner Haut von Stricken zusammengeschnürt. Auf den ersten Blick war klar, dass er unglaublich stark sein musste. Vor ihm stand Mascha im blauen Badeanzug – langbeinig und gleichfalls braungebrannt; unter ihrem üppigen, sonnengebleichten Haar zeichneten sich spitz die Hals- und Rückenwirbel ab. Nein, sie dachte gar nicht daran, am Wasser zu sitzen und sehnsuchtsvoll auf ihren Vater zu warten; vielmehr redete sie voller Begeisterung auf diesen sehnigen Kerl ein und gestikulierte dabei wild mit den Armen. Ich war etwas gekränkt, dass sie mein Erscheinen nicht einmal zur Kenntnis nahm. Dafür bemerkte mich der Mann. Er drehte sich hastig zu mir um, musterte mich kurz und hob dann lächelnd die Hand zur Begrüßung. Da wandte sich auch Mascha um und rief erfreut: »Ach, da bist du ja!«
Ich kletterte auf das grasbewachsene Ufer, nahm die Taucherbrille ab und trocknete mir das Gesicht. Der Fremde beobachtete mich weiter und lächelte dabei.
»Wie viele hast du markiert?«, erkundigte sich Mascha geschäftig.
»Einen.« Ich bekam kaum die Lippen auseinander.
»Na, so was«, sagte Mascha und half mir, die Aqualunge abzunehmen. Ich streckte mich im Gras aus. »Gestern hat er zwei markiert«, erklärte Mascha. »Und vorgestern vier. Wenn es so weitergeht, können wir an einen anderen See übersiedeln.« Sie nahm das Handtuch und begann, meinen Rücken abzutrocknen. »Du siehst aus wie ein tiefgefrorener Truthahn«, rief sie. »Übrigens, das ist Leonid Andrejewitsch Gorbowski, Astroarchäologe. Und das, Leonid Andrejewitsch, ist mein Vater: Stanislaw Iwanowitsch.«
Der sehnige Mann nickte und lächelte weiter.
»Sie sind ziemlich durchgefroren, nicht?«, fragte er. »Wir dagegen haben es schön warm hier – Sonne, Wiese …«
»Er wird gleich wieder zu sich kommen«, erklärte Mascha und fuhr fort, mich aus Leibeskräften abzurubbeln. »Im Allgemeinen ist er sehr lustig, nur jetzt, wo er so friert …«
Mir wurde klar, dass sie alles Mögliche über mich erzählt hatte und jetzt meinen guten Ruf aufrechterhalten wollte. Sollte sie ruhig – ich hatte keine Zeit, mich darum zu kümmern, weil ich voll und ganz mit Zähneklappern beschäftigt war.
»Mascha und ich haben uns schon Sorgen um Sie gemacht«, erzählte Gorbowski. »Wir wollten Sie sogar suchen, aber ich verstehe mich nicht aufs Tauchen. Sie können sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, dass jemand noch nie getaucht ist …« Er ließ sich rücklings ins Gras fallen, drehte sich um und stützte sich auf den Ellbogen. »Morgen reise ich wieder ab«, teilte er vertraulich mit. »Und ich habe keine Ahnung, wann ich das nächste Mal dazukomme, an einem See im Gras zu liegen und mit einer Aqualunge tauchen zu können …«
»Na los, nehmen Sie sie schon«, sagte ich.
Gorbowski betrachtete die Aqualunge aufmerksam und berührte sie kurz.
»Ich werde mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen«, erwiderte er, legte sich aber wieder auf den Rücken ins Gras. Dann verschränkte er die Arme unter dem Kopf und sah mich mit seinen spärlichen Wimpern zwinkernd an. Ohne Zweifel: Er hatte etwas Anziehendes, wenn ich auch nicht sagen konnte, was es genau war. Vielleicht die Augen, die vertrauensvoll und ein bisschen traurig zugleich wirkten, oder die Tatsache, dass sein Ohr so komisch unter dem Verband hervorstand. Als er mich eine Weile angesehen hatte,
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