Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
nunmehr seit zwei Jahren an diesem Platz. Eines schönen Tages jedoch schlüpften plötzlich vor den Augen der Besucher einige Dutzend winziger, höchst lebendiger Eidechsen aus der runzligen grauen Haut. Freilich starben sie augenblicklich durch die Luft auf der Erde und verbrannten an Sauerstoffüberschuss, doch das Aufsehen, das ihr Erscheinen hervorrief, war außerordentlich. Die Zoologen standen noch heute vor dem Rätsel, wie das hatte geschehen können. In der Tat – das Leben war das Einzige, vor dem es sich in dieser Welt zu verneigen lohnte …
Der Jäger schlenderte durch die Galerie, ging von einem Pavillon zum anderen. Die grelle afrikanische Sonne – die gute, wärmende Erdensonne – beschien die Tiere unter dem Plexiglas, Tiere, die unter fremden Himmeln geboren worden waren, viele Hundert Milliarden Kilometer von hier entfernt. Fast alle von ihnen kannte er, hatte sie bereits viele Male gesehen – nicht nur im Museum. Hin und wieder blieb er vor neuen Exponaten stehen, las die fremdartigen Namen der wundersamen Tiere und die ihm vertrauten Namen der Männer, die sie erlegt hatten. »Malteserdegen«, »Gesprenkelte Gazelle«, »Großer Dschi-ling«, »Kleiner Dschi-ling«, »Kapuziner-Schwimmaffe«, »Schwarze Vogelscheuche«, »Königsschwan« … Simon Kreutzer, Wladimir Babkin, Bruno Belliard, Nicolas Druot, Jean Salier der Jüngere … Er kannte all diese Männer, und jetzt war er der älteste von ihnen, wenn auch nicht der erfolgreichste. Doch er freute sich zu erfahren, dass es Salier dem Jüngeren endlich gelungen war, den schuppigen Verborgenkiemer zu fangen, dass Wolodja Babkin eine lebende Segelflugschnecke mit auf die Erde gebracht und Bruno Belliard auf der Pandora nun doch noch eines der weiß gestreiften Buckelnashörner geschossen hatte, nach denen er schon mehrere Jahre auf Jagd gewesen war …
So gelangte er schließlich in den zehnten Pavillon, in dem viele seiner eigenen Trophäen ausgestellt waren. Hier blieb er vor nahezu jeder Vitrine stehen, hing Erinnerungen nach und genoss noch einmal seine früheren Abenteuer, zum Beispiel das mit dem »Fliegenden Teppich«, der auch das »Fallende Blatt« genannt wurde. Vier Tage lang, dachte er, habe ich auf der Lauer gelegen, auf der Ru ž ena, dem Planeten, wo es so selten regnet und wo einst der hervorragende Zoologe Ludovico Porta ums Leben gekommen ist. Der »Fliegende Teppich« bewegte sich mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit und besaß ein sehr feines Gehör. Ihn konnte man unmöglich mit einem Fahrzeug jagen, sondern musste ihm Tag und Nacht auflauern, seine schwachen, öligen Spuren im Laub der Bäume aufspüren. Mir allein ist es gelungen, ihn zu fangen, und seither niemandem mehr. Der stolze, selbstbewusste Salier hat nicht nur einmal behauptet, dass es sich dabei um einen reinen Glücksfall gehandelt habe … Er strich behutsam mit den Fingern über die Buchstaben des Schildes. Dort stand: »… Erlegt und präpariert von Jäger P. Gnedych …« Viermal habe ich auf ihn geschossen und nicht ein einziges Mal verfehlt. Er jedoch lebte noch, als er zu Boden stürzte und die Baumasten mit sich hinunterriss. Aber das war noch zu der Zeit, als ich mein Gewehr gebrauchte …
Und da war auch das augenlose Ungeheuer von der Wladislawa, aus den Sümpfen mit dem schweren Wasser. Augenlos und ohne Körperformen. Niemand hatte damals, als der Balg ausgestopft werden sollte, auch nur die geringste Vorstellung gehabt, welche Gestalt man dem Tier geben sollte; schließlich hatte man die gelungenste Fotografie als Vorlage genommen. Ich jagte das Tier durch den Sumpf bis zum Ufer, wo ich einige Fallgruben geschaufelt hatte. In eine von ihnen stürzte es dann und wälzte sich lange Zeit brüllend in der schwarzen, zähen Brühe. Zwei Eimer Beta-Novocain benötigte ich, um es einzuschläfern. So lange ist das übrigens noch nicht her, etwa zehn Jahre, aber da habe ich schon nicht mehr geschossen – ein angenehmes Wiedersehen.
Je länger der Jäger durch den zehnten Pavillon ging, desto langsamer wurden seine Schritte. Er wollte nicht weitergehen – doch er musste, denn jetzt näherte er sich seinem eigentlichen Ziel. Und mit jedem Schritt wurde das ihm schon bekannte Gefühl von Trauer und Unruhe stärker, das nun langsam in ihm emporstieg. Und schon beobachteten ihn die weißen, runden Augen aus dem Glaskasten …
Wie bei jedem seiner Besuche näherte er sich der kleinen Vitrine mit gesenktem Kopf. Und wie jedes Mal studierte er auf
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