Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
nicht schlechter als andere. Es ist ja nicht meine Schuld, dass ich nicht zu Größerem tauge. Übrigens tut es nichts zur Sache, ob ich auf dem rechten Platz bin oder nicht. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht von hier fort. Ich bin einfach gefesselt an diese Menschen, die mich gleichzeitig so aufregen, und an dieses grandiose Vorhaben, von dem ich so wenig verstehe.
Er erinnerte sich, dass ihn die Aufgabe des sekundenschnellen Transports fester Körper durch die Abgründe des Raums schon in der Schule begeistert hatte. Die Aufgabenstellung stand jedoch allen damals gültigen Vorstellungen entgegen – jenen vom absoluten Raum, vom Raum-Zeit-Begriff, vom Kapparaum … Zuerst nannte man es das »Durchbrechen der Riemann-Falte«, dann hieß es »Hyperdurchdringung«, »Sigmadurchdringung« oder »Nullbegrenzung« und schließlich: »Nulltransport«, abgekürzt »Null-T«. »Null-T-Anlage«, »Null-T-Problematik«, »Null-T-Forscher«, »Nullphysiker«. – »Wo arbeiten Sie?« – »Ich bin Nullphysiker.« Ein erstaunter, bewundernder Blick. »Ach, erzählen Sie uns doch bitte, was das ist: Nullphysik. Ich kann mir überhaupt nichts darunter vorstellen.« – »Ich auch nicht.« Na ja …
Wobei, einiges könnte man schon darüber erzählen. Über die verblüffende Metamorphose etwa, die dem Gesetz von der Erhaltung der Masse widerfuhr, wenn der Nulltransport eines kleinen Platinwürfels, am Äquator des Regenbogens vorgenommen, an dessen Polen (warum nun gerade an den Polen?!) den Ausbruch gigantischer Fontänen unkontrolliert freigesetzter Materie bewirkte: Feuergeysire, die zum Erblinden führten, oder die schreckliche schwarze Welle, die eine tödliche Gefahr für alles Leben darstellte.
Auch von den heftigen, in ihrer Unversöhnlichkeit erschreckenden Zusammenstößen der Nullphysiker könnte man berichten, von der unüberbrückbaren Kluft, die zwischen diesen talentierten Menschen herrschte (wovon freilich wenige wussten). Wo man doch annehmen sollte, dass sie Schulter an Schulter arbeiteten, statt sich zu zerstreiten. Dennoch, die Kluft existierte, und während Etienne Lamondois die Nullphysik beharrlich im Zeichen des Nulltransports vorantrieb, betrachtete die junge Schule die Welle als das Kernproblem des Nullphänomens – des neuen Dämons der Wissenschaft, des Geistes, der aus der Flasche strebte.
Oder man könnte schildern, dass es aus bisher ungeklärten Gründen noch immer nicht gelungen war, den Nulltransport lebender Materie zu realisieren. Die armen Versuchshunde, immer die Leidtragenden, kamen als Klumpen organischer Schlacke ans Ziel …
Zu guter Letzt könnte man von den Nullfliegern erzählen: von den »stürmischen Zehn« mit dem großartigen Gaba an der Spitze, von den kräftigen, durchtrainierten Jungs, die sich nun schon drei Jahre lang auf dem Regenbogen in ständiger Bereitschaft hielten, um eines Tages statt der Hunde in die Startkammer zu klettern.
»Wir werden uns bald trennen, Robby«, sagte Kamillo plötzlich. Robert, der eingenickt war, zuckte zusammen. Kamillo stand mit dem Rücken zu ihm am Fenster. Robert richtete sich auf und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Seine Handfläche war nass.
»Warum?«, fragte er.
»Die Wissenschaft … Wie ist das alles trostlos, Robby.«
»Das weiß ich schon lange«, knurrte Robert.
»Für euch ist die Wissenschaft ein Labyrinth. Sackgassen, dunkle Winkel, jähe Windungen. Ihr seht nichts als Wände. Und ihr wisst nichts über das wirkliche Ziel. Ihr habt erklärt, es bestehe darin, bis zur Grenze der Unendlichkeit zu gelangen; das heißt, ihr erklärt einfach, dass es kein Ziel gibt. Ihr messt euren Erfolg nicht am Weg bis zum Ende, sondern am Weg vom Start an. Zu eurem Glück seid ihr nicht in der Lage, die Abstraktionen in die Wirklichkeit umzusetzen. Ziel, Ewigkeit, Unendlichkeit – das sind nur Worte für euch. Abstrakte philosophische Kategorien. In eurem täglichen Leben haben sie keinerlei Bedeutung. Aber wenn ihr dieses ganze Labyrinth einmal von oben gesehen hättet …«
Kamillo verstummte. Robert wartete und fragte dann: »Haben Sie es denn gesehen?«
Kamillo gab keine Antwort, und Robert bestand nicht weiter auf seiner Frage. Er seufzte, stützte das Kinn auf die Fäuste und schloss die Augen. Der Mensch spricht und handelt, dachte er. Und das alles sind äußere Erscheinungen von Prozessen in der Tiefe seiner Natur. Die Natur vieler Menschen ist recht unbedeutend, und darum dringen viele innere Regungen sofort
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