Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
sie immer vorkommt«, sagte er. »Nach dem gestrigen Nulltransport gab es eine, und in der letzten Woche auch.« Nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu, die Kapazität der Fontäne entspreche etwa hundert Gramm transportierter Masse. Patrick schwieg noch immer, und Robert hatte den Eindruck, er sei unsicher geworden. »Das ganze Problem liegt in der Masse«, fuhr Robert fort. Er schaute auf den Minicomputer und wiederholte, nun schon ganz überzeugt: »Jawohl, hundert bis hundertfünfzig Gramm. Wie viel wurde heute abgeschickt?« – »Zwanzig Kilo«, antwortete Patrick. – »Ach so, zwanzig Kilo … Dann geht die Rechnung natürlich nicht auf.« Plötzlich kam Robert ein glänzender Gedanke: »Nach welcher Formel habt ihr denn die Kapazität errechnet?«, fragte er. – »Nach Dramba«, antwortete Patrick gleichgültig. Genau das hatte Robert erwartet. Die Dramba-Formel erlaubte zwar eine Stärkeberechnung von größter Genauigkeit, doch hatte er sich selbst schon lange eine eigene Universalformel zurechtgelegt, um die Eruptionsstärke unkontrolliert freigesetzter Materie noch genauer bestimmen zu können – eine Formel, die er sorgsam überprüft, schriftlich fixiert und sogar farbig umrandet hatte. Nun war, so schien es, der richtige Moment gekommen, um Patrick die Vorzüge seiner Formel zu demonstrieren.
Robert wollte schon nach dem Bleistift greifen, da verschwand Patrick plötzlich vom Bildschirm. Robert wartete und biss sich auf die Lippen. Jemand fragte: »Willst du abschalten?« Patrick gab keine Antwort. Auf dem Bildschirm erschien Karl Hoffmann, nickte Robert lässig zu und rief über die Schulter: »Patrick, willst du noch sprechen?« Patrick murmelte von weither: »Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Damit muss man sich sehr gründlich beschäftigen.« – »Ich habe dich gefragt, ob du hier noch weitersprechen willst«, wiederholte Hoffmann. – »Aber nein doch, nein«, rief Patrick gereizt. Hoffmann lächelte etwas verlegen und sagte: »Entschuldige, Robby, wir möchten jetzt ins Bett gehen. Ich schalte ab, ja?«
Robert biss die Zähne so fest zusammen, dass es in den Ohren knackte. Dann legte er betont langsam ein Blatt Papier vor sich hin und schrieb mehrmals hintereinander seine geliebte Formel auf, zuckte mit den Achseln und sagte forsch: »Das habe ich mir gedacht. Alles klar. Jetzt können wir Kaffee trinken.«
Er war sich selbst zuwider, furchtbar zuwider, und blieb so lange vor dem kleinen Geschirrschränkchen sitzen, bis er sein Gesicht wieder unter Kontrolle hatte. Tanja sagte: »Den Kaffee kochst du, ja?«
»Warum ich?«
»Koch ihn nur, ich schaue zu.«
»Warum denn das?«
»Ich sehe dir gern bei der Arbeit zu. Du arbeitest vollkommen und machst keine einzige überflüssige Bewegung.«
»Wie ein Roboter«, sagte er, aber ihre Worte hatten ihn angenehm berührt.
»Nein, nicht wie ein Roboter. Du arbeitest einfach vollkommen. Und am Vollkommenen hat man immer Freude.«
»Modell für die ›Jugend‹«, murmelte er. Er war ganz rot vor Freude.
Robert trug das Geschirr auf und schob das Tischchen ans Fenster. Sie setzten sich, er schenkte den Kaffee ein. Tanja saß neben ihm, die Beine übereinandergeschlagen. Sie war sehr hübsch, und ihn überkam abermals ein eigentümliches, fast närrisches Staunen, gepaart mit einem Gefühl von Hilflosigkeit. »Tanja«, sagte er. »Dass du hier bist, kann nicht wahr sein. Du bist eine Halluzination.«
Sie lächelte.
»Du kannst lachen, so viel du willst. Ich weiß auch ohne dich, dass du mich jetzt für ziemlich kindisch halten wirst. Aber ich kann nichts dagegen tun. Ich würde dir am liebsten wie ein junger Hund den Kopf unter die Achsel stuken und mit dem Schwanz wedeln. Und du müsstest mir den Rücken klopfen und sagen: ›He, du Dummkopf.‹«
»He, du Dummkopf«, wiederholte Tanja.
»Und das Klopfen auf den Rücken?«
»Das Rückenklopfen kommt später. Und auch das Stuken unter die Achsel.«
»Also gut, später. Und jetzt? Wenn du willst, mache ich mir ein Halsband. Oder besser einen Maulkorb?«
»Nein, keinen Maulkorb«, antwortete Tanja. »Ich will dich ohne.«
»Und warum?«
»Ohne Maulkorb gefällst du mir.«
»Eine akustische Halluzination«, sagte Robert. »Was könnte dir schon an mir gefallen?«
»Du hast schöne Beine.«
Die Beine waren Roberts wunder Punkt. Sie waren zwar kräftig, aber zu dick. Für die Beine der »Jugend« hatte darum Karl Hoffmann Modell gestanden.
»Das habe ich mir schon gedacht«,
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