Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
Vom Netzwerk:
hängendem Kopf da. Dann ließ er ein leises, klägliches Mauzen hören, klemmte sich die Gusli unter den Arm und humpelte auf drei Beinen langsam durch das taunasse Gras davon.
    Ich stieg vom Fensterbrett und riss dabei das Buch herunter. Ich wusste genau, dass es zuletzt »Das Schaffen von Geisteskranken« gewesen war, und glaubte nun, eben dieses Buch heruntergeworfen zu haben. Als ich es aufhob und wieder aufs Fensterbrett legte, war es jedoch »Die Aufklärung von Verbrechen« von A. Svensson und O. Wendel. Verwirrt schlug ich das Buch auf, überflog ein paar Absätze und hatte plötzlich das Gefühl, in der Eiche baumele ein Erhängter. Beklommen sah ich auf. Vom unteren Ast der Eiche hing ein nasser, silbrig grüner Haifischschwanz herab. Der Schwanz schaukelte schwerfällig im böig auffrischenden Morgenwind.
    Ich fuhr zurück und prallte mit dem Hinterkopf gegen etwas Hartes. Irgendwo läutete ein Telefon. Als ich mich umblickte, sah ich, dass ich quer über dem Kanapee lag, die Decke war auf den Fußboden gerutscht, und ins Fenster schien durch das Eichenlaub hindurch die Morgensonne.

3
    Mir kam in den Sinn, dass man die übliche Unterredung mit dem Teufel oder mit einem Zauberer vorteilhaft durch die geschickte Anwendung wissenschaftlichen Fachjargons ersetzen könnte.
    H. G. Wells
    Das Telefon läutete. Ich rieb mir die Augen, blickte aus dem Fenster (die Eiche war an Ort und Stelle) und sah nach dem Garderobenbrett (auch das Garderobenbrett hing an seinem Platz). Das Telefon läutete noch. Hinter der Wand, im Zimmer der Alten, rührte sich nichts. Da sprang ich vom Kanapee, öffnete die Tür (der Riegel war ebenfalls dort, wo er sein sollte) und trat in den Flur. Das Telefon läutete immer noch. Es stand auf einem Bord über einem großen Kübel – ein hochmodernes Gerät aus weißem Kunststoff, wie ich es bisher nur im Kino und im Arbeitszimmer unseres Direktors gesehen hatte. Ich nahm den Hörer ab.
    »Hallo …«
    »Wer ist da?«, fragte eine schrille weibliche Stimme.
    »Wen möchten Sie denn sprechen?«
    »Ist dort die Hüahü?«
    »Was?«
    »Ich frage, ob dort die Hütte auf Hühnerbeinen ist oder nicht. Mit wem spreche ich überhaupt?«
    »Ja«, sagte ich. »Hier ist die Hütte. Wen wollen Sie sprechen?«
    »Teufel noch eins«, versetzte die Frauenstimme. »Nehmen Sie einen Fernspruch entgegen.«
    »Fangen Sie an.«
    »Notieren Sie.«
    »Einen Augenblick«, bat ich. »Ich hole mir nur Papier und Bleistift.«
    »Teufel noch eins«, wiederholte die Frauenstimme.
    Ich holte mein Notizbuch und einen Druckbleistift.
    »Ich höre.«
    »Fernspruch Nummer zweihundertundsechs«, sagte die Stimme. »An die Bürgerin Naina Kiewna Gorynytsch.«
    »Nicht so schnell … Gorynytsch … Und weiter?«
    »›Hiermit … laden wir Sie … heute … am siebenundzwan zigsten Juli … dieses Jahres … um Mitternacht … zu unserem alljährlichen Republiktreffen ein …‹ Haben Sie?«
    »Ja.«
    »›Zur ersten Begegnung … kommt es … auf dem Kahlen Berg. Erscheinen in Paradeuniform. Anreise mit mechani schen Transportmitteln … auf eigene Kosten. Unterschrift … Leiter der Kanzlei … Ch … M … Wij.‹«
    »Wie?«
    »Wij. Ch. M. Wij.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Wij! Chron Monadowitsch! Kennen Sie etwa den Leiter unserer Kanzlei nicht?«
    »Nein«, entgegnete ich. »Buchstabieren Sie bitte.«
    »Verflixt und zugenäht! Na schön, ich buchstabiere: W wie Werwolf, I wie Inkubus, J wie Jason … Haben Sie?«
    »Ja, ich glaube«, sagte ich. »Da kommt Wij raus.«
    »Was?«
    »Wij!«
    »Haben Sie Polypen? Ich verstehe Sie nicht!«
    »Wladimir – Iwan – Jot!«
    »Richtig. Lesen Sie alles noch mal vor.«
    Ich las alles noch mal vor.
    »Genau. Durchgegeben von Onutschkina. Wer hat’s entgegengenommen?«
    »Priwalow.«
    »Grüß dich, Priwalow! Dienst du schon lange?«
    »Soldaten dienen«, entgegnete ich ärgerlich. »Ich arbeite.«
    »Na, dann arbeite mal schön weiter. Wir sehen uns auf dem Treffen.«
    Aus dem Hörer tönten Rufzeichen. Ich legte auf und kehrte in mein Zimmer zurück. Der Morgen war kühl, ich machte rasch meine Morgengymnastik und zog mich an. Ich fand das alles ungeheuer interessant. Der Fernspruch war für mich auf das Merkwürdigste mit den nächtlichen Ereignissen verbunden, aber ich konnte nicht sagen, warum. Schon geisterte mir die eine oder andere Idee im Kopf herum, und ich ließ meiner Fantasie freien Lauf.
    All das, was ich hier erlebt hatte, war mir nicht völlig neu. Ich hatte

Weitere Kostenlose Bücher