Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
Vom Netzwerk:
es vorsichtig in einer Nische.
    Im ersten Stock öffnet er eine Tür und gelangt in einen großen, hellen Raum, in dem Unmengen von Laborgefäßen stehen, Lämpchen an Schaltpulten blinken und grünliche Kurven über die Bildschirme huschen. Ein Mann im blauen Kittel sitzt mit dem Rücken zu ihm. Kaum hat Snegirjow die Tür hinter sich geschlossen, als ihn der Mann, ohne sich umzudrehen, über die Schulter hinweg anblafft: »Zum Gewerkschaftskomitee!«
    »Ist Iwan Dawydowitsch zu sprechen?«, erkundigt sich Snegirjow.
    Der Mann wendet ihm das Gesicht zu und steht auf. Er ist groß und breitschultrig, hat einen kräftigen Hals, struppige, scheckige Haare und engstehende schwarze Augen.
    »Ich sagte, gehen Sie zum Gewerkschaftskomitee! Zwischen fünf und sieben! Hier werde ich mich nicht mit Ihnen unterhalten. Klar?«
    »Ich komme von Kurdjukow …«
    Der Vorsitzende des Gewerkschaftskomitees Martynjuk schnellt mit dem Oberkörper vor. »Von … Kurdjukow? Was ist denn los?«
    »Er hat eine schwere Vergiftung, verstehen Sie? Verdacht auf Botulismus. Er bittet Sie sehr, ja er fleht Sie an, ihm zwei, drei Tropfen Methusalin zu schicken.«
    »Was?«
    »Methusalin. Ich dachte, das wäre ein neues Medikament. Oder habe ich mir den Namen falsch gemerkt? Me-thu-sa-lin.«
    Iwan Dawydowitsch Martynjuk geht an Snegirjow vorbei zur Tür und macht sie fest zu.
    »Wer sind Sie überhaupt?«, fragt er ungehalten.
    »Wir wohnen zusammen.«
    »Wieso? Er hat doch eine eigene Wohnung.«
    »Ich habe auch eine eigene Wohnung. Wir wohnen Tür an Tür.«
    »Verstehe. Ich versuche mir nur klarzumachen, wer Sie sind.«
    »Mein Name ist Felix Alexandrowitsch Snegirjow.«
    »Der Name sagt mir nichts.«
    Snegirjow pariert: »Ihr Name sagt mir auch nichts! Trotzdem bin ich durch die ganze Stadt hierher kutschiert.«
    »Haben Sie wenigstens einen Ausweis bei sich? Oder irgendwas …«
    »Natürlich nicht! Wozu auch? Sind Sie vielleicht von der Miliz?«
    Iwan Dawydowitsch starrt Snegirjow finster an. »Na schön«, sagt er schließlich. »Ich kümmere mich persönlich darum. Gehen Sie … Nein, warten Sie! In welcher Klinik liegt er?«
    »In der II. Städtischen.«
    »Dass ihn dort … Das ist ja wirklich am anderen Ende der Stadt. Na schön, gehen Sie. Ich kümmere mich darum.«
    »Ich danke Ihnen«, verabschiedet sich Snegirjow spöttisch. »Ich stehe tief in Ihrer Schuld.«
    Iwan Dawydowitsch dreht ihm jedoch schon wieder den Rücken zu.
    Wutschnaubend kehrt Snegirjow zur Garderobe zurück, zieht seinen Mantel an, stülpt sich vor dem Spiegel die Baskenmütze über, dreht sich um und will schon gehen, als sich eine schwere Hand auf seine Schulter legt. Snegirjow erstarrt, aber es ist nur der Garderobier. Mit altmodischer Geste deutet er auf das verfluchte Netz in der Nische.
    Snegirjow tritt auf die Freitreppe hinaus, stellt das Netz vor seine Füße und zieht eine Zigarette heraus. Als er sich mit dem Rücken zum Wind dreht, um sie anzuzünden, stockt er: Durch die schwere, durchsichtige Tür starrt ihm, die riesigen Handflächen gegen die Scheiben gepresst und das blasse Gesicht vorgeschoben, Iwan Dawydowitsch Martynjuk hinterher. Wie ein Vampir dem entronnenen Opfer.
    Die Straßenbahn ist überfüllt. Snegirjow sitzt, das Netz auf den Knien, auf einem Platz; die Fahrgäste umstehen ihn wie eine dichte Mauer. Plötzlich entsteht zwischen den Menschen eine Lücke, und Snegirjow bemerkt, dass ihn durch die Lücke hindurch zwei helle, vorstehende Augen anstarren. Nur eine Sekunde lang sieht er die Augen, eine karierte Schirmmütze und eine karierte Krawatte, dazu eine karierte Jacke. Als die Straßenbahn quietschend bremst und die Mauer aus Menschen sich wieder schließt, ist der merkwürdige Beobachter verschwunden. Eine Zeit lang sitzt Snegirjow stirnrunzelnd da und versucht zu begreifen, was vor sich geht – als plötzlich wieder eine Lücke zwischen den Fahrgästen entsteht. Der karierte Beobachter hat nun die Hände über dem Bauch gefaltet und schlummert friedlich vor sich hin. Er ist ein Mann mittleren Alters, mit einer karierten Jacke und einer schmuddeligen weißen Hose …
    Der Saal des Kulturhauses. Snegirjow spricht, am Bühnenrand auf und ab spazierend, vor seinen Lesern.
    »… Mich beispielsweise hat man von frühester Kindheit an mit klassischer Musik berieselt. Wahrscheinlich hat irgendwer irgendwo einmal gesagt, dass sich der Mensch, wenn er unentwegt mit klassischer Musik berieselt wird, mit der Zeit daran gewöhnt und sich

Weitere Kostenlose Bücher