Gesammelte Werke 6
Panzermanow niemals in Mittelasien gewesen sei und die in ihm entdeckte Münze nie zuvor gesehen habe. Auf den restlichen zweiundvierzig Seiten des Briefes legte der hochgebildete Äskulap dar, was er von der Telepathie, der Telekinese und der vierten Dimension hielt. Dem Brief lagen Grafiken, Tabellen sowie Aufnahmen von Avers und Revers der geheimnisvollen Münze in natürlicher Größe bei …
Das Verfahren wurde ernst und ohne jegliche Hast durchgeführt. Nach der Verlesung jedes einzelnen Briefes trat eine lange Pause ein, die von tiefschürfenden Interjektionen gefüllt wurde. Dann blies Lawr Fedotowitsch eine »Herzegowina Flor« durch, richtete seinen Blick auf Wybegallo und erkundigte sich, welchen Entwurf einer Antwort der Genosse wissenschaftliche Berater der Troika vorlegen könne. Wybegallo lächelte dann breit mit seinen roten Lippen, strich sich mit beiden Händen über den Bart, bat um die Erlaubnis, sich nicht erheben zu müssen, und ließ den geforderten Entwurf verlauten. Dabei wurde den Korrespondenten der Troika keine große Vielfalt zuteil, denn es kam immer die gleiche Standardformulierung zum Einsatz: »Werte(r) Bürger(in) …! Haben Ihren interessanten Brief erhalten und gelesen. Die von Ihnen mitgeteilten Fakten sind der Wissenschaft gut bekannt und daher nicht von Interesse. Trotzdem danken wir Ihnen herzlich für Ihre Beobachtung und wünschen Ihnen Erfolg im beruflichen und persönlichen Leben.« Unterschrift und aus.
Das war meiner Meinung nach Wybegallos beste Erfindung. Es musste das reinste Vergnügen sein, damit beispielsweise die Mitteilung zu beantworten, dass »… der Bürger Schtschin eine Öffnung in meine Wand gebohrt hat und Giftgase hindurchleitet«.
Und so arbeitete die Maschine mit bedrückender Monotonie weiter. Eintönig näselte der Kommandant vor sich hin, Lawr Fedotowitsch knurrte satt und Wybegallo schmatzte mit den Lippen. Allmählich ergriff mich tödliche Apathie, und mir war klar, dass der Zersetzungsprozess eingesetzt hatte: Ich drohte, im schlüpfrigen Morast geistiger Entropie zu versinken. Und ich wollte nicht mehr dagegen ankämpfen … Was soll’s, dachte ich matt, von mir aus. Auch so kann man leben. Alles Vernünftige ist wirklich, und alles Wirkliche vernünftig. Und weil es vernünftig ist, ist es gut. Und da es nun mal gut ist, ist es mit ziemlicher Sicherheit auch für die Ewigkeit … Und worin unterscheiden sich eigentlich Lawr Fedotowitsch und Fjodor Simeonowitsch? Beide sind sie unsterblich, beide sind allmächtig. Warum streiten sie dann miteinander? Keine Ahnung … Was braucht der Mensch wirklich? Vielleicht rätselhafte Geheimnisse? Also, ich brauche keine. Wissen? Wozu brauche ich Wissen auf dieser Besoldungsstufe? Lawr Fedotowitsch ist sogar im Vorteil. Er selber denkt nicht und nötigt auch die anderen nicht dazu. Er verhindert, dass seine Mitarbeiter sich überanstrengen – das ist doch gütig und aufmerksam von ihm. Und unter seiner Ägide lässt sich sicher gut Karriere machen. Farfurkis könnte man verdrängen, oder Chlebowwodow – was wollen die denn schon … Dummköpfe sind sie und untergraben bloß die Autorität der Obrigkeit. Dabei muss man deren Autorität doch – im Gegenteil – heben. Wenn der liebe Gott der Obrigkeit schon keinen Verstand gegeben hat, so muss man ihr wenigstens die Autorität sichern. Du ihm die Autorität, und er dir alles andere. Haupt sache, man macht sich nützlich, ja unentbehrlich … als rechte Hand, oder notfalls auch als linke …
So wäre es bald aus mit mir gewesen – vergiftet von den bestialischen Emanationen der Kanalisatorenbande und des Großen Runden Stempels; bestenfalls wäre ich als Exponat im Vivarium unseres Instituts geendet. Und auch mit Edik wäre es bald aus gewesen. Er wand sich zwar noch und warf sich in Pose, aber es war alles nur aufgesetzt. In Wirklichkeit, so gestand er mir später, überlegte er, wie er am geschicktesten Wybegallo verdrängen und in der Vorstadt ein Grundstück zur Bebauung erhalten konnte. Ja, mit uns beiden wäre es aus gewesen. Sie hätten sich unsere Schwäche und Verzweiflung zunutze gemacht und uns in Grund und Boden getreten. Doch in einem dieser furchtbaren Augenblicke ließ ein stummer Donner alles um uns herum erbeben. Als wir wieder zu uns kamen, stand die Tür sperrangelweit offen. Auf der Schwelle standen Fjodor Simeonowitsch und Cristóbal Joséwitsch.
Sie waren unbeschreiblich zornig. Furchterregend zornig. Wohin sie auch blickten,
Weitere Kostenlose Bücher