Gesammelte Werke 6
fingen Wände an zu rauchen und schmolz das Glas. Das Transparent mit dem Volk und den Sensationen flammte auf und fiel herab. Das ganze Gebäude zitterte und vibrierte, das Parkett stellte sich auf, die Stühle bekamen vor Schreck weiche Beine und sanken in sich zusammen. Es war nicht zu ertragen, und die Troika ertrug es auch nicht.
Chlebowwodow und Farfurkis zeigten mit zitternden Fingern aufeinander und kreischten im zweistimmigen Chor: »Ich war es nicht! Er ist an allem schuld!«, doch am Ende verwandelten sie sich in gelben Dampf und lösten sich spurlos auf.
Professor Wybegallo faselte: »Mon dieux!«, tauchte unter seinen Tisch, holte von dort seine große Aktentasche hervor und hielt sie den Donnerschleuderern mit den Worten hin: »Das, tjä, is’ alles Material. Also, über diese Gauner hab ich alles hier gesammelt, hier, da hab ich’s doch!«
Der Kommandant zerrte sich inbrünstig am Kragen und sank auf die Knie.
Lawr Fedotowitsch verspürte um sich herum ein unangenehmes Treiben, begann unruhig den Hals hin und her zu drehen und erhob sich, die Hände auf das grüne Tischtuch gestützt.
Fjodor Simeonowitsch kam auf uns zu, fasste uns bei den Schultern und drückte uns gegen die breite Brust. »Na, na …«, brummte er, als wir uns an ihn klammerten, wobei unsere Köpfe zusammenstießen. »M-macht nichts, ihr w-wart großartig … D-drei Tage habt ihr euch immerhin gehalten … G-ganz prima …«
Durch den Schleier meiner Tränen hindurch sah ich, wie Cristóbal Joséwitsch, unheilvoll mit seinem Stock spielend, auf Lawr Fedotowitsch zuging und ihm mit zusammengebissenen Zähnen befahl: »Raus hier.«
Lawr Fedotowitsch brauchte einige Zeit, bis er reagierte.
»Das Volk …«, begann er verwundert.
»Raus!!!«, brüllte Junta.
Eine Sekunde lang sahen sie einander in die Augen. Dann huschte über Lawr Fedotowitschs Gesicht eine Art menschlicher Regung – vielleicht Scham, vielleicht Furcht, vielleicht aber auch Groll. Ohne Hast verstaute er seine Utensilien im Aktenkoffer und sagte:
»Es gibt den Vorschlag, aufgrund besonderer Umstände die Sitzung der Troika auf unbefristete Zeit zu unterbrechen.«
»Für immer«, korrigierte Cristóbal Joséwitsch und legte seinen Stock quer über den Tisch.
»Hrrrm …«, stieß Lawr Fedotowitsch zweifelnd hervor.
Er schritt majestätisch um den Tisch herum und ging, ohne noch jemanden anzusehen, zur Tür. Bevor er aber verschwand, verkündete er: »Es gibt die Meinung, dass wir uns noch einmal begegnen werden. Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort.«
»Wohl kaum«, erwiderte Junta verächtlich und biss das Ende seiner Zigarre ab.
Doch sollten wir Lawr Fedotowitsch tatsächlich noch einmal begegnen – zu einer ganz anderen Zeit und an einem ganz anderen Ort.
Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
FÜNF LÖFFEL ELIXIER
Zeit der Handlung: Gegenwart, später Frühling
Ort der Handlung: eine große Gebietshauptstadt im Süden der Sowjetunion
Die Zweizimmerwohnung des mittelmäßigen Schriftstellers Felix Alexandrowitsch Snegirjow. Zeitgemäße, moderne Einrichtung. Im Arbeitszimmer herrscht vorbildliche Ordnung: Alle polierten Möbelflächen glänzen, die Bücher in der Bücherwand stehen in ordentlichen Reihen, die Sessel für die Gäste und die gestreifte Couch sind ansehnlich und bequem, der Fußboden sauber und das Parkett spiegelblank. Auch der Schreibtisch ist aufgeräumt: Die Schreibmaschine steht mit einer Hülle verdeckt in der Mitte, der massive Glasaschenbecher blitzt vor Sauberkeit, darin liegen zwei verschiedenfarbige Radiergummis, zwei Rasierklingen und eine Handvoll Büroklammern. Daneben stehen die Statuette eines fernöstlichen Gottes und ein zur Hälfte mit Karteikarten gefülltes Holzkästchen.
Es ist zwei Uhr nachmittags. Der Himmel ist grau und ver hangen.
Snegirjow telefoniert vom Apparat auf dem Zeitungstischchen, das unter einer Stehlampe steht. Snegirjow ist ein Mann von durchschnittlichem Äußeren, etwa fünfzig Jahre alt und alltäglich gekleidet; seine Füße stecken in ausgetretenen Pantoffeln.
»Natalja Petrowna?«, spricht er in den Hörer. »Hallo, Natalja! Ich bin’s, Felix … Ja, ja, lange nicht gesehen … Na ja, es geht. Hör mal, Natalja, bist du heute bei deinem Lehrgang? … Wann macht ihr da Schluss? Aha … Na, bestens. Hör mal, ich komme gegen sechs vorbei, muss was mit dir besprechen. Einverstanden? … Dann bis nachher.«
Er legt den Hörer auf und eilt in den Flur. Dort tauscht er die
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