Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
Vom Netzwerk:
damit abfindet – und dass dann alles ganz wunderbar ist. Und damit fing der Schlamassel an! Wir liebten Jazz, wir waren verrückt nach Jazz und wurden mit Sinfonien vollgestopft. Wir schwärmten für sentimentale Romanzen, und man quälte uns mit Violinkonzerten. Wir brannten darauf, Chansonniers und Liedermacher zu hören – und wurden mit Oratorien gejagt. Hätten all diese übermenschlichen Bemühungen, uns mit klassischer Musik zu durchtränken, auch nur den Wirkungsgrad einer Dampflok gehabt, wären wir heute alle Kenner und Verehrer der klassischen Musik. Denken Sie an die Tausende und Abertausende Stunden Klassik im Radio, an die Tausende und Abertausende Fernsehprogramme, an die Millio nen Schallplatten! Und was ist dabei herausgekommen? Was dabei herausgekommen ist, sehen Sie selbst …«
    Unter dem zustimmenden Gemurmel des Saals geht Snegirjow zu einem kleinen Tisch und greift nach dem nächsten Zettel. »›Waren Sie im Ausland?‹«
    Gelächter im Saal. Eine Stimme ruft: »Wie in einem Fragebogen!«
    »Ja. Ich war einmal als Tourist in Polen und zweimal mit einer Delegation in der Tschechoslowakei. Gut. Und was haben wir hier? Hm. ›Wer hat Ihrer Meinung nach mehr Angst vor dem Tod: die Sterblichen oder die Unsterblichen?‹«
    Gemurmel im Saal.
    Snegirjow zuckt die Achseln und sagt: »Merkwürdige Frage. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Wissen Sie, meiner Ansicht nach denken vor allem junge Menschen an die Unsterblichkeit, wir Alten denken mehr an den Tod.«
    In diesem Moment sieht er, wie sich in der Saalmitte der ihm bereits bekannte, kariert gekleidete Herr aufrichtet. »Und wie denken die Unsterblichen über den Tod?«, erkundigt er sich mit schriller Fistelstimme.
    Diese Frage bringt Snegirjow völlig aus dem Konzept, ja sie erschreckt ihn sogar ein wenig. Er ahnt, dass sie nicht von ungefähr kommt, dass diese ganze Szene einen ihm verborgenen Hintergrund hat. Er spürt, dass er jetzt besser nicht antwortet, und wenn doch, dann muss die Antwort genau ins Schwarze treffen. Wie er das bewerkstelligen soll, weiß er jedoch nicht. Darum versucht er sich mit einem Scherz aus der Affäre zu ziehen und murmelt: »Abwarten und Tee trinken … Da ich vorläufig nicht unsterblich bin, kann ich solche Dinge schlecht beurteilen.«
    Der Karierte ist nicht mehr zu sehen. Snegirjow wischt sich mit einem Taschentuch die Stirn ab und faltet den nächsten Zettel auseinander.
    Als Snegirjow das Kulturhaus verlassen hat, beschließt er, endlich das Netz mit den Flaschen loszuwerden. Er reiht sich in die kleine Schlange vor einer Flaschenannahme ein und versinkt in Gedanken.
    Plötzlich hört er ein lautes Kreischen und Schreien, und die Schlange stiebt nach allen Seiten auseinander. Perplex sieht sich Snegirjow um und versucht herauszufinden, was geschehen ist. Da sieht er, wie von einem kleinen Hügel aus bedrohlich lautlos und immer schneller ein riesiger Kipper vom Typ »MAS« auf ihn zurollt. Krampfhaft sein Netz festhaltend, springt Snegirjow zur Seite, und der Kipper, der ihn nur um Haaresbreite verfehlt, rast polternd in die Annahmebude, wo er zum Stehen kommt. Das Fahrerhaus ist leer.
    Ringsum Geschrei, Gezeter und entsetzt hochgerissene Arme.
    »Wo ist der Fahrer?«
    »Der Tagedieb ist einkaufen gegangen!«
    »Die Bremse! Er hat die Bremse nicht angezogen!«
    »Wie ist so etwas möglich, liebe Mitbürger? Wo hat die Miliz nur ihre Augen?«
    »Wo sind meine Flaschen? Wo sind sie? Er hat mir meine Flaschen zerschlagen.«
    »Sei froh, dass du noch lebst.«
    »Fahrer! He, Fahrer! Wo steckst du?«
    »Hol deine Karre hier weg!«
    Der Mann von der Flaschenannahme klettert in einem schmutzigen weißen Kittel aus den Trümmern seiner Bude, springt aufs Trittbrett und drückt erbittert auf die Hupe.
    Snegirjow schüttelt den Kopf, um das erschütternde Erlebnis wieder loszuwerden, und begibt sich zum Fremdsprachenlehrgang seiner Bekannten Natalja, mit der er etwas zu besprechen hat.
    In den Korridoren bewegt er sich so ungezwungen, als sei er hier zu Hause; weder legt er ab, noch schämt er sich seiner Flaschen. Bald grüßt er eine Putzfrau, bald einen älteren, sauertöpfischen Kursteilnehmer, bald ein paar junge Burschen, die eine Leiter gegen einen Fensterpfeiler lehnen.
    Lässig klopft er an eine Tür mit der Aufschrift »Englisch-Gruppe« und tritt ein.
    An einem der Bürotische in dem leeren Raum sitzt Natalja Petrowna. Sie blickt zu Snegirjow auf, der plötzlich sprachlos stehen bleibt und den Mund

Weitere Kostenlose Bücher