Gesammelte Werke 6
auf die er ein Stück Lachs gespießt hat, hochhält. »In erster Linie musst du zum Ausdruck bringen, dass der Sinn des Lebens in unserer Zeit untrennbar mit einem hohen moralisch-sittlichen Potenzial verbunden ist …«
Snegirjow schüttelt den Kopf. »Das, Anatoli Sokratowitsch, habe ich längst verstanden. Aber ich muss dir leider sagen, dass das so holterdiepolter nicht geht. Für so etwas braucht man Zeit – mindestens eine Woche, besser zwei. Überleg doch selbst: Wie soll man denn in einer Nacht so einen Artikel schreiben?«
»Eine Zeitschrift muss schnell reagieren können! Dass niemand das begreifen will! Eine Zeitschrift muss sich darin der Zeitung annähern, statt sich von ihr zu entfernen. Du weißt, dass ich dich mag. Du hast einen kraftvollen Stil, Felix, und ich mag dich sehr. Ich bringe alles, was du schreibst. Aber du bist einfach nicht flexibel genug!«
»Ich bin ja auch kein Zeitungsmann. Ich bin Schriftsteller!«
»Eben! Ein Schriftsteller, der nicht schnell genug ist. Du musst an dir arbeiten. Nimm nur mal diesen Kurdjukow. Ich weiß, er ist ein mittelmäßiger, ja sogar ziemlich schlechter Dichter. Aber wenn man zu ihm sagt: ›Konstantin, bis zum Abend muss es fertig sein!‹ – dann ist es bis zum Abend fertig. Verstehst du, darin ist er wie Tschechow. Und deshalb schätze ich ihn. Er setzt sich sofort auf das Fensterbrett, und schon geht’s los: ›Und flussabwärts schwimmt das Beil von der Kolgujew-Insel …‹ Oder irgendwas in der Art.«
Snegirjow fällt plötzlich etwas ein. »Ach Gott, ich muss ja noch anrufen und mich erkundigen, wie’s ihm geht«, sagt er und eilt los.
»Wem denn?«, ruft der Chefredakteur ihm hinterher.
Vom Vorraum des Restaurants aus ruft Snegirjow bei Kurdjukow zu Hause an. »Soja, ich bin’s, Felix. Wie geht es Konstantin?«
»Ach, schön, dass Sie anrufen, Felix Alexandrowitsch! Ich komme gerade von ihm, bin in diesem Moment zur Tür herein … Felix Alexandrowitsch, er bittet Sie sehr herzlich, ihn zu besuchen.«
»Natürlich … Aber wie … Wie geht’s ihm denn?«
»Gott sei Dank ist alles noch mal gut gegangen. Aber er bittet Sie ganz dringend, ihn zu besuchen. Er spricht von nichts anderem.«
»So? Na, morgen könnte es klappen. Gegen Abend vielleicht …«
»Nein, nein, Felix Alexandrowitsch, er bittet Sie, unbedingt noch heute zu kommen. Er hat ausdrücklich gesagt: ›Wenn Felix Alexandrowitsch anruft, richte ihm aus, er soll unbedingt noch heute kommen.‹«
»Noch heute? Hm …«, murmelt Snegirjow. »Heute kann ich beim besten Willen nicht. Ich sitze hier mit Anatoli Sokratowitsch zusammen …«
Soja hört jedoch gar nicht zu. »›Und wenn er nicht anruft‹, hat er gesagt, ›dann mach ihn ausfindig, egal wo. Und wenn du die ganze Stadt nach ihm abklapperst.‹ Er hat etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen, Felix. Es ist sehr dringend, sehr wichtig.«
»Verflixt, heute ist es ganz ungünstig …«
»Felix, bitte verstehen Sie, er ist gar nicht er selbst. Schauen Sie doch heute bei ihm vorbei, wenigstens für zehn Minuten!«
»Na gut, wenn’s unbedingt sein muss.«
Snegirjow hängt den Hörer ein. Er bewegt lautlos, aber energisch die Lippen; auf seinem Gesicht ist deutlich Empörung zu erkennen, auch Protest.
Als Snegirjow das Krankenzimmer betritt, sitzt Kurdjukow auf seinem Bett und löffelt angewidert Grießbrei aus einem Blechteller. Er trägt Krankenhauskleidung, sieht aber nicht schlecht aus – jedenfalls nicht wie ein Sterbender. Im Zimmer stehen sechs Betten; in dem vor dem Fenster hängt ein Mann am Tropf, sonst ist niemand da, weil sich alle im Fernsehraum ein Fußballspiel ansehen.
Bei Snegirjows Anblick springt Kurdjukow auf und stürzt so ungestüm auf ihn zu, dass Snegirjow überrascht zurückweicht. Kurdjukow packt seine Hand, schüttelt und drückt sie aus Leibeskräften und redet dabei wie aufgezogen, wobei er sich immer wieder zu dem Mann am Tropf umdreht und Snegirjow nicht zu Wort kommen lässt.
»Alter Junge, wenn du wüsstest, was hier los war! Höllenqualen habe ich ausgestanden – bei allen Heiligen! Erst war mir speiübel, dann bekam ich Krämpfe, Durchfall und zum Schluss hat’s mich bloß noch geschüttelt. Die Wände haben gewackelt! Blut und Wasser hab ich geschwitzt! Schrecklich! Aber sie waren nicht faul hier – kannst du dir das vorstellen: Von allen Seiten kamen sie angelaufen – mit Röhrchen, Spritzen und Klistieren, alle in Weiß, ein grausiger Anblick. Sechs Mann halten dich
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