Gesammelte Werke 6
mir vorbeisah.
»Was ist denn los?«, erkundigte ich mich, während ich meinen Ausweis zückte.
»Ich bitte, auch den Fünfer vorzuzeigen«, sagte der Milizionär, als er meinen Ausweis entgegennahm.
Wortlos reichte ich ihm den Fünfer. Manja starrte mich empört an. Der Milizionär musterte den Fünfer, sagte zufrieden: »Aha!«, und klappte meinen Ausweis auf. Er studierte ihn wie ein Büchernarr eine kostbare Ausgabe. Für mich setzten qualvolle Minuten des Wartens ein. Allmählich sammelte sich um uns herum eine Menschenmenge. In der Menge wurden unterschiedliche Meinungen über mich laut.
»Sie müssen mitkommen«, erklärte der Milizionär schließ lich.
Wir schlängelten uns durch die umherstehende Menschen menge; dabei gab es verschiedenste Varianten meines verpfuschten Lebens zu hören sowie eine Reihe von Ursachen, die zu dieser, vor aller Augen begonnenen, Untersuchung geführt hatten.
Auf dem Revier übergab der Sergeant den Fünfer und mei nen Ausweis dem diensthabenden Leutnant. Der betrachtete das Geldstück und forderte mich auf, Platz zu nehmen. Ich kam seiner Aufforderung nach. Der Leutnant murmelte gleichgültig: »Packen Sie das Kleingeld aus« und vertiefte sich dann ebenfalls in meinen Ausweis. Ich kramte sämtliche Münzen aus meinen Taschen. »Zähl nach, Kowaljow«, befahl der Leutnant, legte den Ausweis beiseite und blickte mir in die Augen.
»Haben Sie viel eingekauft?«, fragte er.
»Ja«, erwiderte ich.
»Packen Sie das auch aus«, forderte der Leutnant.
Ich packte eine Prawda von vorgestern, drei Exemplare des Lokalblatts Rybak , zwei Ausgaben der Literaturnaja Gaseta , acht Schachteln Streichhölzer, sechs Sahnebonbons der Marke »Goldenes Schlüsselchen« und ein preisreduziertes Bürstchen zum Reinigen von Primuskochern auf den Tisch.
»Das Wasser kann ich nicht auspacken«, versetzte ich tro cken. »Es waren fünf Gläser mit und vier Gläser ohne Sirup.«
Allmählich ging mir ein Licht auf, und bei dem Gedanken, dass ich mich würde rechtfertigen müssen, wurde mir mulmig.
»Vierundsiebzig Kopeken, Genosse Leutnant«, meldete der blutjunge Kowaljow.
Nachdenklich musterte der Leutnant den Zeitungsstapel und den Berg Streichholzschachteln.
»Ist das eine Art Sport oder was?«, fragte er mich.
»Oder was«, antwortete ich finster.
»Wie unvorsichtig«, tadelte der Leutnant. »Sehr unvorsichtig von Ihnen, mein Herr. Und jetzt raus mit der Sprache.«
Ich tat ihm den Gefallen. Zum Schluss bat ich den Leutnant inständig, meine Handlungsweise nicht als den Versuch zu betrachten, das Geld für einen »Saporoshez« zusammenzukratzen. Meine Ohren glühten.
Der Leutnant grinste. »Warum eigentlich nicht?«, versetzte er. »Das soll schon vorgekommen sein.«
Ich zuckte die Achseln.
»Glauben Sie mir, auf so eine Idee würde ich nie im Leben kommen … Aber was rede ich da? Ich bin ja auch tatsächlich nicht darauf gekommen!«
Der Leutnant schwieg lange. Der blutjunge Kowaljow nahm meinen Ausweis zur Hand und vertiefte sich von Neuem.
»Das ist doch völlig abwegig«, begann ich verwirrt. »Kom pletter Irrsinn. Kopeken zusammenzukratzen …« Ich zuckte wieder mit den Achseln. »Da kann man ja gleich betteln gehen.«
»Gegen das Bettlerunwesen kämpfen wir an«, erklärte der Leutnant mit Nachdruck.
»Natürlich, das ist ja richtig. Ich weiß bloß nicht, was das mit mir zu tun hat …« Ich ertappte mich dabei, verdächtig oft die Achseln zu zucken, und nahm mir fest vor, das in Zukunft bleibenzulassen.
Wieder schwieg der Leutnant zermürbend lange und betrachtete das Fünfkopekenstück. »Wir müssen ein Protokoll aufsetzen«, sagte er schließlich.
Ich zuckte wieder mit den Achseln.
»Bitte, meinetwegen, obwohl …« Ich wusste selbst nicht, was ich sagen wollte.
Der Leutnant sah mich abwartend an, während ich mir überlegte, unter welchen Paragrafen des Strafgesetzbuches meine Handlungsweise fallen mochte. Dann griff er sich ein Blatt Papier und fing an zu schreiben.
Der blutjunge Kowaljow kehrte auf seinen Posten zurück. Sein Vorgesetzter schrieb mit quietschender Feder weiter und stieß diese oft geräuschvoll ins Tintenfass. Und ich saß da wie ein Ölgötze, starrte auf die Plakate an den Wänden und sagte mir träge, dass Lomonossow sich an meiner Stelle seinen Ausweis geschnappt hätte und aus dem Fenster gesprungen wäre. Worauf kommt es eigentlich an?, fragte ich mich. Es kommt darauf an, dass der Mensch selbst von seiner Unschuld überzeugt ist. In
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