Gesammelte Werke 6
zwei kräftige Burschen mit breiten Schultern und kräftigen Nacken. Durchs Fenster sah ich, wie sie den Platz überquerten, einen Bogen um die Grünanlage machten und hinter den Diagrammen verschwanden. Ich trank meinen Tee aus, verschlang die belegten Brote und machte mich ebenfalls auf den Weg. Sieh einmal an, dachte ich, das Kanapee erregt die Gemüter. Die Nixe lässt sie kalt. Der sprechende Kater interessiert sie nicht. Aber ohne das Kanapee – denk einer an – geht es nicht. Ich versuchte, mich an das Kanapee in meinem Zimmer zu erinnern, aber mir war daran nichts Besonderes aufgefallen. Ein ganz normales Kanapee. Solide. Bequem. Nur dass man, wenn man darauf schlief, von einer merkwürdigen Realität träumte.
Am liebsten wäre ich jetzt in mein Quartier zurückgekehrt, um mich genauer mit all diesen Merkwürdigkeiten zu beschäftigen, mit dem wandelbaren Buch zu experimentieren, ein offenes Wort mit Kater Wassili zu reden und nachzusehen, ob es in der Hütte auf Hühnerbeinen nicht noch andere interessante Dinge gab. Aber dort wartete auch mein Moskwitsch und damit die Pflicht: TP und TW. Mit TP konnte ich mich noch arrangieren, das war bloß die tägliche Pflege: Matten ausschütteln und die Karosserie mit einem starken Wasserstrahl abspülen, notfalls tat es aber auch ein Guss aus der Gießkanne oder dem Eimer. Aber TW … An einem heißen Tag ist einem reinlichen Menschen schon der Gedanke ein Gräuel: die technische Wartung, die darin besteht, dass ich mit der Fettpresse in der Hand unter den Wagen krieche und das Fett gleichmäßig auf die Abschmierbuchsen und mein Gesicht verteile. Unter dem Wagen ist es heiß und stickig, und am Unterboden klebt eine dicke, angebackene Schicht Schmutz … Mit einem Wort: Es zog mich nicht allzu sehr dorthin.
4
Wer wagt es, uns mit diesem gotteslästerlichen Spottbild zu verhöhnen? Packt ihn und reißt ihm die Maske ab – damit wir wissen, wen wir bei Sonnenaufgang an die Zinnen hängen müssen!
Edgar Allan Poe
Ich kaufte mir die Prawda von vorgestern, trank ein Glas Sodawasser und machte es mir in der Grünanlage, im Schatten »Unserer Besten«, auf einer Bank bequem. Es war elf Uhr. Ich sah die Zeitung aufmerksam durch. Das dauerte sieben Minuten. Dann las ich einen Artikel über Hydrokultur, eine Glosse über die Spitzbuben aus Kansk und einen langen Brief der Arbeiter eines Chemiewerks an die Redaktion. Dazu brauchte ich alles in allem zweiundzwanzig Minuten. Vielleicht sollte ich ins Kino gehen? Aber den Film Kozara hatte ich schon gesehen – einmal im Kino und einmal im Fernsehen. Ich beschloss, noch ein Glas Wasser zu trinken, faltete die Zeitung zusammen und stand auf. Vom Kleingeld der Alten war nur noch ein Fünfkopekenstück übrig. Das wollte ich vertrinken. Ich leerte ein Glas Wasser mit Sirup, erhielt eine Kopeke zurück und kaufte mir dafür am Stand nebenan eine Schachtel Streichhölzer. Mehr gab es für mich im Stadtzentrum nicht zu tun. So ging ich immer der Nase nach und landete in der schmalen Gasse zwischen dem Geschäft Nummer zwei und der Kantine Nummer elf.
Die Gasse war fast menschenleer. Ein großer staubiger Lastwagen mit einem übers Kopfsteinpflaster rumpelnden Tieflader überholte mich. Der Fahrer hatte Ellbogen und Kopf aus dem Fenster gereckt und starrte müde auf die Fahrbahn. Nach einer scharfen Rechtskurve führte die Gasse bergab. Direkt in der Kurve ragte am Rand des Gehsteigs ein altes gusseisernes Kanonenrohr aus dem Boden, dessen Mündung mit Sand und Zigarettenkippen zugestopft war. Bald darauf endete die Gasse am Steilhang des Flusses. Ich setzte mich an den Hang und genoss eine Weile die Aussicht, ging dann auf die andere Straßenseite und trat langsam den Rückweg an.
Wo ist eigentlich der Lastwagen abgeblieben?, fragte ich mich plötzlich. Am Steilhang ging es nicht mehr weiter. Auf der Suche nach einer Einfahrt sah ich mich auf beiden Straßenseiten um und entdeckte, eingezwängt zwischen zwei düsteren Kornspeichern, ein kleines, äußerst merkwürdiges Haus. Die Fenster der unteren Etage waren vergittert und zur Hälfte mit Kreide verschmiert. Türen hatte das Haus nicht. Das erkannte ich daran, dass das Schild, das gewöhnlich am Tor oder im Hauseingang hing, hier zwischen zwei Fenstern angebracht war. Auf dem Schild stand: »Akademie der Wissenschaften der UdSSR – FIFHUZ«. Ich trat auf die Fahrbahnmitte zurück: tatsächlich, zwei Etagen mit je zehn Fenstern, aber keine Tür. Und links und rechts, ohne
Weitere Kostenlose Bücher