Gesammelte Werke 6
äh … ich rate dir ab. Die fressen dich mit Haut und Haar.« Worauf er mit zuckendem Schwanz das Weite suchte. Ich hatte die Absicht, sehr vorsichtig zu sein, weshalb ich der Alten bei ihrem zweiten Vorstoß einen Preis von fünfzig Rubel nannte, um ein für alle Mal Ruhe vor ihr zu haben. Sie musterte mich respektvoll und ließ sofort von mir ab.
Ich erledigte TP und TW, fuhr mit größtmöglicher Vorsicht tanken, aß in der Kantine Nummer elf zu Mittag und legte dem wachsamen Kowaljow noch einmal meine Papiere vor. Um mein Gewissen zu beruhigen, fragte ich ihn nach der Straße zum Kahlen Berg. Der blutjunge Sergeant starrte mich misstrauisch an und sagte: »Die Straße? Wovon reden Sie überhaupt, mein Herr? Was denn für eine Straße? Da gibt es überhaupt keine Straße.«
Als ich bei der Hütte ankam, regnete es in Strömen. Die Alte war abgereist und Kater Wassili verschwunden. Aus dem Brunnen tönte zweistimmiger Gesang, was schaurig und melancholisch klang. Den Gewitterguss löste bald ein trister Nieselregen ab. Es wurde dunkel.
Ich ging in mein Zimmer und startete das Experiment mit dem wandelbaren Buch. Aber es wollte nicht klappen. Ob ich etwas falsch machte, oder ob es am Wetter lag – das Buch blieb so, wie es war: F. F. Kusmins »Praktische Übungen zu Syntax und Interpunktion«. Da man aber so ein Buch beim besten Willen nicht lesen kann, versuchte ich mein Glück mit dem Spiegel. Der aber spiegelte alles, was ich ihm vorhielt, und schwieg sich aus. Da machte ich es mir auf dem Kanapee bequem.
Die Langeweile und der eintönig rauschende Regen hätten mich beinahe eingeschläfert, als plötzlich das Telefon läutete. Ich ging in den Flur und nahm den Hörer ab.
»Hallo …«
Im Hörer knackte es.
»Hallo«, sagte ich und blies in den Hörer. »Drücken Sie aufs Knöpfchen.«
Ich erhielt keine Antwort.
»Klopfen Sie gegen den Apparat«, riet ich. Aus dem Hörer kam kein Ton. Ich blies noch einmal hinein, zog an der Schnur und sagte: »Versuchen Sie’s noch mal von einem anderen Apparat.«
Da fuhr mich eine Stimme barsch an: »Ist da Alexander?«
»Ja«, antwortete ich verblüfft.
»Und warum meldest du dich nicht?«
»Ich melde mich doch. Wer spricht denn da?«
»Hier ist Petrowski. Geh mal in die Salzerei, und sag dem Meister, dass er mich anrufen soll.«
»Welchem Meister?«
»Na, wer ist denn heute da?«
»Keine Ahnung.«
»Was heißt keine Ahnung? Ist da Alexander?«
»Hören Sie«, sagte ich. »Welche Nummer haben Sie gewählt?«
»Die zweiundsiebzig. Ist da die zweiundsiebzig?«
Ich wusste es nicht.
»Offenbar nicht«, sagte ich.
»Wieso behaupten Sie dann, dass Sie Alexander sind?«
»Weil ich Alexander heiße!«
»Verdammt! Ist da das Kombinat?«
»Nein«, sagte ich. »Hier ist das Museum.«
»Ah … Dann entschuldige ich mich. Dann können Sie den Meister ja gar nicht holen.«
Ich legte auf und sah mich im Flur um. Hier gab es fünf Türen: eine führte in mein Zimmer, eine auf den Hof, eine in das Zimmer der Alten, eine zur Toilette, und dann war da noch eine eisenbeschlagene Tür mit einem großen Vorhängeschloss. Stinklangweilig!, dachte ich. Nichts los hier. Und diese matte, verstaubte Lampe … Ich schlurfte in mein Zimmer zurück und blieb an der Schwelle wie angewurzelt stehen: Das Kanapee war weg!
Ansonsten war alles unverändert: der Tisch, der Ofen, der Spiegel, das Garderobenbrett und der Hocker. Und auch das Buch lag noch genau so, wie ich es hingelegt hatte – auf dem Fensterbrett. Aber dort, wo das Kanapee gestanden hatte, war nur noch ein furchtbar schmutziger, rechteckiger Fleck. Dann fiel mein Blick auf die fein säuberlich unter dem Garderobenbrett zusammengelegte Bettwäsche.
»Eben war hier noch ein Kanapee«, sagte ich laut. »Ich habe sogar darauf gelegen.«
Im Haus rührte sich etwas. Undefinierbare Geräusche dran gen in mein Zimmer. Ich hörte Stimmen und Musik, und irgendwo wurde gelacht, gehustet und mit den Füßen ge scharrt. Ein Schatten verdunkelte vorübergehend das Lam penlicht, und die Dielen knarrten. Dann roch es plötzlich nach Apotheke, und ein kalter Hauch streifte mein Gesicht. Ich fuhr zurück. Und im selben Moment klopfte es laut und unüberhörbar an der Haustür. Sofort verstummten alle Geräusche. Mit einem Blick auf die Stelle, an der bis eben das Kanapee gestanden hatte, ging ich in den Flur hinaus und öffnete die Haustür.
Im feinen Nieselregen stand ein mittelgroßer, eleganter Mann in einem tadellos
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