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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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sauberen, cremefarbenen Regenmantel mit hochgeschlagenem Kragen. Er zog den Hut und sagte höflich: »Ich bitte um Entschuldigung, Alexander Iwanowitsch. Könnten Sie mir fünf Minuten Ihrer kostbaren Zeit widmen?«
    »Natürlich«, sagte ich verwirrt. »Treten Sie näher.«
    Ich sah den Mann zum ersten Mal in meinem Leben, und mir kam der Gedanke, dass er vielleicht etwas mit der hiesigen Miliz zu tun hatte. Der Unbekannte trat über die Schwelle und steuerte schnurstracks auf mein Zimmer zu. Ich versperrte ihm den Weg. Warum ich das tat, weiß ich nicht – wahrscheinlich wollte ich vermeiden, dass er mich fragte, warum der Fußboden so staubig war.
    »Entschuldigen Sie«, stammelte ich. »Vielleicht könnten wir hier … Bei mir ist nicht aufgeräumt. Und einen Platz kann ich Ihnen auch nicht anbieten.«
    Der Unbekannte warf den Kopf zurück. »Wieso nicht?«, fragte er leise. »Das Kanapee?«
    Eine Zeit lang blickten wir einander stumm in die Augen.
    »Hm … Was ist mit dem Kanapee?«, fragte ich aus unerfindlichen Gründen im Flüsterton zurück.
    Der Unbekannte schlug die Augen nieder. »Ach, so ist das?«, sagte er langsam. »Verstehe. Schade. Na, dann entschuldigen Sie.«
    Er nickte mir höflich zu, setzte seinen Hut auf und ging zielstrebig auf die Toilette zu.
    »Wohin wollen Sie?«, rief ich. »Da sind Sie falsch!«
    Ohne sich umzudrehen, murmelte der Unbekannte: »Ach, das spielt keine Rolle«, und verschwand hinter der Tür. Ich machte ihm Licht an, wartete eine Weile, horchte und riss dann mit einem Ruck die Tür auf. Die Toilette war leer.
    Ich zog vorsichtig eine Zigarette heraus und steckte sie mir an. Das Kanapee, dachte ich. Was ist los mit diesem Kanapee? Noch nie habe ich ein Märchen von einem Kanapee gehört. Fliegende Teppiche sind mir begegnet, ein Tischleindeckdich, eine Tarnkappe, Siebenmeilenstiefel und eine Gusli, die von selbst spielt. Auch einen Zauberspiegel gab es. Aber kein Zauberkanapee. Ein Kanapee ist zum Sitzen oder Liegen da, ein Kanapee ist etwas Handfestes und durch und durch Gewöhnliches. Ja wirklich, wie kann sich die Fantasie an einem Kanapee entzünden?
    Als ich in mein Zimmer zurückkehrte, sah ich sofort das kleine Männchen. Geduckt und in einer sehr unbequemen Haltung hockte es unter der Zimmerdecke auf dem Ofen. Es hatte ein runzliges, unrasiertes Gesicht und graue, behaarte Ohren.
    »Guten Tag«, grüßte ich erschöpft.
    Wehleidig verzog das kleine Männchen den breiten Mund.
    »Guten Abend«, grüßte es zurück. »Entschuldigen Sie bitte, ich weiß selbst nicht, wie es mich hierher verschlagen hat. Ich komme wegen des Kanapees.«
    »Da kommen Sie zu spät«, erklärte ich und setzte mich an den Tisch.
    »Das sehe ich«, erwiderte das kleine Männchen leise und drehte sich schwerfällig um. Von der Decke rieselte Kalk.
    Ich rauchte und betrachtete das Männchen nachdenklich. Es lugte ängstlich in die Tiefe.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte ich und machte Anstalten aufzustehen.
    »Nein, danke«, sagte es griesgrämig. »Ich schaffe das schon.«
    Es kroch an den Ofenrand, wobei es sich von oben bis unten mit Kreide beschmierte, stieß sich ungeschickt ab und segelte kopfüber vom Ofen. Mir stockte der Atem, aber es schwebte in der Luft und ging nur langsam – Arme und Beine krampfhaft ausgestreckt – tiefer. Der Anblick war nicht gerade erhebend, aber lustig. Das kleine Männchen landete auf allen vieren, richtete sich rasch wieder auf und fuhr sich mit dem Ärmel über das nasse Gesicht.
    »Wie ein alter Mann«, teilte es mit heiserer Stimme mit. »Vor hundert Jahren oder, sagen wir, zu Gonsasts Zeiten hätte man mir für diesen Abgang das Diplom aberkannt, glauben Sie mir, Alexander Iwanowitsch.«
    »Was haben Sie studiert?«, erkundigte ich mich und steckte mir noch eine Zigarette an.
    Das Männchen hörte meine Frage nicht, sondern ließ sich auf dem Hocker mir gegenüber nieder und fuhr traurig fort: »Früher konnte ich levitieren wie der alte Seks. Heute dagegen, entschuldigen Sie, komme ich nicht einmal mehr gegen die Haare auf meinen Ohren an. Das ist so unappetitlich. Aber wenn ich nun mal kein Talent hab? Ringsum gibt es so viele Verlockungen, alle möglichen Titel und Ränge, und unsereins hat kein Talent! Bei uns wachsen im Alter manch einem die Ohren zu. Die Koryphäen natürlich ausgenommen. Gian Giacomo, Cristóbal Junta, Giuseppe Balsamo oder nehmen wir nur den Genossen Fjodor Simeonowitsch Kiwrin … Keine Spur einer Behaarung!« Er

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