Gesammelte Werke 6
Briefe zu antworten, die Fragen enthalten. Der Brief Ryü Takamis nun enthielt nicht einfach Fragen – er enthielt sogar arbeitsbezogene Fragen, die zudem eine Arbeit betrafen, an der ich selbst interessiert war. Deshalb stand ich erst wieder von meinem Tisch auf, als ich die Antwort auf den Brief beendet hatte, zog die unvollendete Seite des Drehbuchs aus der Schreibmaschine und tippte die Antwort ab, tat sie in einen Umschlag, klebte ihn zu und beschriftete ihn.
Jetzt hatte ich schon zwei Gründe, das Haus zu verlassen.
Ich zog ich mich an, schloss ächzend meine Reißverschluss stiefel, steckte fünfzig Rubel in die Brusttasche – und plötzlich klingelte das Telefon.
So oft hatte ich mir schon gesagt: Nimm den Hörer nicht ab, wenn du aus dem Haus gehen willst und bereits angezogen bist. Aber es konnte Rita sein, die womöglich von ihrer Dienstreise zurück war – wie konnte ich da nicht abnehmen? So nahm ich also den Hörer ab und bereute es gleich darauf, denn am anderen Ende der Leitung war nicht Rita, sondern Lenja Barinow mit Spitznamen Fips.
Mehrere meiner Freunde sind auf solche Telefonate zur Unzeit spezialisiert. Slawa Krutojarski beispielsweise ruft mich grundsätzlich dann an, wenn ich Suppe esse – oder auch Eintopf, das macht keinen Unterschied. Wichtig ist, dass ich meinen Teller erst zur Hälfte gegessen habe und die andere Hälfte während des Gesprächs kalt wird. Garik Aganjan hingegen ruft immer genau dann an, wenn ich auf dem Klo sitze und außerdem auf einen wichtigen Anruf warte. Was nun Lenja Barinow angeht, so ist seine Spezialität, entweder anzurufen, wenn ich aus dem Haus gehen will und schon angezogen bin oder wenn ich duschen möchte und schon ausgezogen bin. Besonders gern meldet er sich frühmorgens, gegen sieben Uhr, um mit tiefer, verschwörerischer Stimme und ohne jeden Zusammenhang zu fragen: »Wie geht’s?«
Lenja Barinow mit Spitznamen Fips fragte also mit tiefer, verschwörerischer Stimme: »Wie geht’s?«
»Ich wollte gerade aus dem Haus«, erwiderte ich knapp, aber das war keine gute Idee.
»Wohin?«, erkundigte sich Lenja prompt.
»Lenja«, bat ich. »Können wir vielleicht später telefonieren? Oder ist es etwas Dienstliches?«
Jawohl, Lenja rief dienstlich an. Und das Dienstliche bestand in Folgendem: Lenja war das Gerücht zu Ohren gekommen (das ist bei ihm an der Tagesordnung), dass alle Autoren, die in den letzten zwei Jahren nichts veröffentlicht hatten, ausgeschlossen würden. Ob ich davon nichts gehört hätte? Wirklich nicht? Womöglich hätte ich etwas gehört, aber nicht darauf geachtet? Ich achtete ja nie auf etwas und hinke deshalb den Ereignissen stets hinterher … Vielleicht schließt man die Betroffenen auch nicht aus, sondern nimmt ihnen nur den Klubausweis ab? Was ich darüber denke?
Ich sagte, was ich dachte.
»He, jetzt reg dich nicht gleich auf«, meinte Lenja versöhnlich. »Lassen wir’s gut sein. Wohin willst du denn?«
Ich erzählte, dass ich einen Einschreibebrief aufgeben und danach in die Bannaja gehen wollte. Lenja interessierte das jedoch weniger.
»Und danach?«, wollte er wissen.
Ich antwortete, dass ich danach wahrscheinlich in den Klub ginge.
»Und was willst du heute im Klub?«
Ich wurde allmählich wütend und zischte, dass ich im Klub – klarer Fall – Holz hacken und die Heizung durchpusten müsse.
»Du regst dich schon wieder auf«, murmelte Lenja traurig. »Warum seid ihr bloß alle so schlecht gelaunt? Wen man auch anruft – ein Grobian. Aber schön, wenn du’s am Telefon nicht sagen willst, dann lass es. Erzählst du es eben im Klub. Nur denk dran, Geld hab ich keins …«
Dann legte ich den Hörer auf und sah aus dem Fenster. Es dämmerte schon, und es war an der Zeit, die Lampe einzuschalten. Ich saß am Tisch, in Mantel, Pelzmütze und schweren, warmen Stiefeln, und mir war jede Lust vergangen, irgendwohin zu gehen. Den Brief nach Japan konnte ich auch ohne Einschreiben schicken, was sollte schon passieren? Ich würde reichlich Marken aufkleben und ihn dann in den Kasten werfen. Die Bannaja konnte ebenso warten, ihr würde bis morgen erst recht nichts geschehen … So ein Schneetreiben aber auch, man sieht überhaupt nichts! Nicht einmal das Haus gegenüber – nur schwach und wie durch einen Schleier hindurch schimmern die gelben Lichter … Allerdings: Bloß dazusitzen, auf dem trockenen, mit zweihundert Rubeln in der Tasche, ist auch dumm, ja sogar Verschwendung. Da ich nun schon angezogen bin,
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