Gesammelte Werke 6
mir sehr sofort. Ich fragte mehrmals in unserem Verlag ›Hayakawa‹ und der Zeitschrift SF-Magazin nach, aber unsere Herausgeber sind konservativ. Jetzt jedoch, da Ihr Buch in den USA Erfolg hat, sind unser Verlag endlich aufmerksam geworden und offenbar der Absicht, Ihr Buch herauszubringen. Das zeigt, dass unsere Verlagskultur unter starkem amerikanischem Einfluss steht, und das ist unsere Realität. Aber wie auch das sei – diese neue Richtung in unserer Verlagswelt ist freudig für Sie wie für mich. Nach meinem Arbeitsplan beende ich die Übersetzung Ihres Buches im Februar nächsten Jahres. Leider aber verstehe ich nicht einige Worte und Wendungen. Sie finden sie als Anlage. Ich möchte Sie bitten zu helfen. An den Anfängen jedes Märchens sind Sätze aus Werken verschiedener Autoren zitiert. Wenn Ihnen nichts etwas ausmacht, bitte ich Sie, mir mitzuteilen, in welchen Titeln und an welchen Stellen ich die Sätze finden kann. Ich möchte Sie und Ihre Literaturtätigkeit möglichst ausführlich mit unseren Lesern bekannt machen, doch leider habe ich keine neuen Nachrichten darüber. Ich wäre sehr froh, wenn Sie mir die jetzige Lage Ihrer Arbeit und Ihres Lebens mitteilen würden und mir Ihr Foto schicken könnten. Auch wünsche ich Artikel und Kritiken Ihrer Literatur zu lesen und möchte erfahren, wo (in welchen Zeitschriften, Zeitungen und Büchern) ich sie finden kann. Ich möchte Sie bitten, mir die vielen Hilfen zu erweisen, um die ich Sie gebeten habe. Ich danke Ihnen im Voraus. Hochachtungsvoll (Unterschrift in Hieroglyphen).«
Ich las den Brief zweimal und ertappte mich nach einiger Zeit dabei, dass ich wohlwollend lächelte, wobei ich mir mit beiden Händen den Schnurrbart zwirbelte. Ehrlich gesagt, hatte ich diesen Japaner völlig vergessen, empfand aber jetzt nichtsdestoweniger größte Sympathie für ihn, ja sogar Dankbarkeit.
Bis nach Japan waren meine Märchen also schon gekom men. Boku-no otogibanashi-wa Nippon-made-mo yatto itadakimashita …
Verschiedenste Gefühle stiegen in mir hoch – bis hin zur Selbstbewunderung. Und im Strom all dieser Gefühle konnte ich unschwer auch eine eisige Welle bitterer Schadenfreude erkennen: Ich entsann mich wieder des ironischen Lächelns in den Rezensionen, der befremdeten rhetorischen Fragen in den kritischen Übersichten, der trunkenen Sticheleien und des freundschaftlich-groben: »Was ist denn mit dir los, Alter? Nun ist’s wohl ganz aus, was?« Jetzt gehörte das natürlich alles der Vergangenheit an,doch offensichtlich hatte ich nichts vergessen. Und niemanden vergessen. Ich erinnerte mich wieder daran, dass ich bei meinen Lesungen in Klubhaus- oder Betriebssälen den Leuten nie als Autor der »Ge nossen Offiziere« oder der zahlreichen Dokumentartexte über die Armee ein Begriff gewesen war, sondern, wenn überhaupt, nur als Verfasser der »Modernen Märchen«. Mehrmals waren sogar Zettel nach vorn gereicht worden: »Sind Sie ein Verwandter des Sorokins, der die ›Modernen Märchen‹ geschrieben hat?«
Ich besann mich auf das zweite Blatt aus dem Kuvert, faltete es auf und überflog es. Anfangs belustigten mich Ryü Takamis Probleme, doch schon nach wenigen Minuten wurde mir klar, dass das, was mir bevorstand, keineswegs lustig war. Denn ich hatte zu erklären – zudem schriftlich und einem Japaner –, was beispielsweise Wendungen bedeuteten wie: »eine Nadel im Heuhaufen suchen«, »über alle vier Backen strahlen«, »spritzig aussehen«, »sich fühlen wie Gott in Frankreich« … Doch das war erst das halbe Unglück, denn es war nicht gar zu schwer, einem Ausländer beizubringen, dass »Banane« im Schülerjargon eine »Vier als Zensur und in Klammern stehend ein Prädikat« ist, oder dass »geil« von Jugendlichen lediglich für »großartig« gebraucht wird. Mehr Mühe bereitete mir der Ausruf: »Pflaume!«. Denn erstens galt es, dieses »Pflaume!« gegen die Frucht des Pflaumenbaums abzugrenzen, damit Takami nicht dachte, es bedeute: »Ich möchte eine reife, süße Pflaume.« Zweitens aber hatte das Wort »Pflaume« – bei uns nur eine minderschwere Beleidigung – für die Japaner noch eine ganz andere Bedeutung: Es handelte sich dabei um eine Geste aus drei Fingern, mit der Straßendamen dereinst in Japan ihre Bereitschaft ausdrückten, einen Kunden zu bedienen …
Ich bemerkte erst selbst nicht, wie diese Arbeit mich fesselte.
Eigentlich schreibe ich nicht gern Briefe, und ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, nur auf solche
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