Gesammelte Werke 6
frisst, beleidigt und geräuschvoll, einen Knochen unter der Treppe. Der Kater Elegant sagt von einem Gast: ›Dieser Petrowski-Selikowitsch gleicht aufs Haar der Bulldogge Ramses, der ich im Frühjahr wegen ihrer flegelhaften Aufdringlichkeit die Schnauze poliert habe.‹«
Noch ein paar Sätze:
»Er verwechselte die Sentimentalen mit den Simmentalern.«
»Nach Ostrowski trug Maria Pawlowa den Pelz sechzehn Jahre, ich kaufte ihn ihr ab und reinigte ihn, dabei fand ich drei Läuse, wovon eine sehr alt ist: Sie spricht noch engelländisch …«
Ich verstaute die restlichen Mappen und Papiere im Schrank und ging zum Tisch hinüber. Manchmal überkommt es mich, und ich nehme mir meine alten Manuskripte und Tagebücher vor. Dann scheint mir, als sei genau das mein wahres Leben: vollgekritzelte Blätter, Skizzen, wer von meinen Helden wo steht und wohin blickt, Satzfetzen, Exposees für Drehbücher, Entwürfe von Amtsbriefen, bis ins Kleinste ausgearbeitete Pläne zu Werken, die nie geschrieben wurden oder werden, und das einförmig-nüchterne »5 S. geschrieben, ab. 3 S.«. Meine Frauen hingegen, die Kinder, die Kommissionen, Seminare und Dienstreisen, der Stör auf Moskauer Art, die befreundeten Schwätzer und Schweiger – das alles ist Traum, Fata Morgana, ein Trugbild in der Wüste, das es vielleicht einmal gab – vielleicht aber auch nicht.
Ah, da ist noch ein gutes Sujet. Von Anfang ’73, das genaue Datum fehlt.
… Ein kleiner Kurort in den Bergen. Unweit der Stadt eine Höhle, und in ihr tropft – tropf, tropf, tropf – lebendes Wasser in eine steinerne Vertiefung. Pro Jahr ein Reagenzglas voll. Nur fünf Menschen wissen darüber Bescheid. Solange sie das Wasser trinken (jeder im Jahr einen Fingerhut voll), sind sie unsterblich. Doch eines Tages erfährt zufällig ein sechster davon – das lebende Wasser aber reicht nur für fünf. Der sechste ist der Bruder des fünften und der Schulfreund des vierten. Der dritte dagegen, eine Frau, Katja, ist leidenschaftlich verliebt in den vierten und hasst den zweiten wegen einer Gemeinheit. Der Knoten schürzt sich. Hinzu kommt, dass der sechste ein großer Altruist ist und weder sich noch die übrigen fünf der Unsterblichkeit für würdig hält …
Ich ließ dann doch die Finger von der Erzählung, weil ich mich verhedderte. Zu kompliziert wurde das System von Beziehungen, es überstieg meine Vorstellungskraft. Dabei hätte es spannend werden können: das Belauern des Sechsten, Drohungen, Mordanschläge, all dies auf philosophisch-psychologischer Ebene, und zum Schluss verwandelt sich der Altruist und Pazifist in einen solchen Fiesling, dass es eine Freude ist ihm zuzuschauen, und alles nur wegen seiner Prinzipien, wegen seiner hochgestochenen Ziele …
Während ich den Entwurf des Sujets las, klingelte es an der Wohnungstür. Ich fuhr zusammen, doch gleich darauf überkam mich eine freudige Vorahnung. Ich lief so schnell ich konnte in die Diele, verlor unterwegs meine Hausschuhe und öffnete. Ja, da war sie, meine gute, langersehnte Fee, mit frostgeröteten Wangen und voller Schnee. Klawotschka. Sie trat ein, grüßte, wobei ihre Zähne blitzten, und begab sich geradewegs in die Küche – während ich schon lief, um meinen Ausweis zu holen, und wieder die Hausschuhe verlor. Dann wurden mir einhundertsechsundneunzig Rubel (in Worten) und elf Kopeken (in Ziffern) ausgehändigt, von der Literarischen Konsultationsstelle für meine Gutachten über ihre unverlangten, miserablen Manuskripte. Wie immer gab ich Klawotschka einen Rubel zurück, wie immer lehnte sie ihn zunächst ab, nahm ihn dann aber doch und bedankte sich, und wie immer sagte ich zu ihr, während ich sie zur Tür brachte: »Kommen Sie doch öfter, Klawotschka«, und sie antwortete: »Schreiben Sie doch mehr.«
Außer dem Geld hatte Klawotschka ein rot-weiß-blau umrandetes langes Luftpostkuvert mit vielen bunten Aufklebern und Marken auf dem Küchentisch hinterlassen. Es kam aus Japan. »Herrn Ferix Arexandrowitsch Sorokin.« Ich nahm die Schere, schlitzte das Kuvert am Rand auf und zog zwei Blätter dünnen Reispapiers hervor. Da schrieb mir ein gewisser Ryü Takami, und zwar auf Russisch.
»Tokio, 25. Dezember 1981. Hochverehrter Herr F. A. Sorokin! Vierreicht Sie sich an mich erinnern – wir sind uns im Frühjahr 1975 in Moskau begegnet. Ich war in der japanischen Schriftstellerderigation; Sie saßen neben uns und schenkten mir liebenswürdig Ihr Buch ›Moderne Märchen‹. Das Buch gefiel
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