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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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oder Fangen, niemand schlief in den Sesseln. Überall lagen zerknüllte Regenmäntel, und ein Spaßvogel hatte seinen Hut an einen Gummibaum gehängt. Viktor stieg die mit Teppichen ausgelegte Treppe in den ersten Stock hinauf. Musik dröhnte. Im rechten Korridor standen alle Türen zur Zimmerflucht des Parlamentsmitglieds weit offen, und es roch penetrant nach fettigem Essen, Zigarettenrauch und erhitzten Leibern. Viktor bog nach links ab und klopfte an Dianas Tür. Alles blieb still. Die Tür war abgeschlossen, aber der Schlüssel steckte. Viktor trat ein, machte Licht und stellte die Flasche aufs Telefontischchen. Als er Schritte hörte, blickte er in den Korridor hinaus. Nach rechts entfernte sich ein großer Mann im schwarzen Abendanzug mit weit ausholenden, festen Schritten. Auf dem Treppenabsatz machte er vor dem Spiegel Halt, warf den Kopf zurück und zerrte an seiner Krawatte. (Viktor erspähte ein gelbliches Adlerprofil mit spitzem Kinn.) Gleich darauf ging mit dem Mann eine Veränderung vor: Er sank zusammen, kippte zur Seite und verschwand, merkwürdig in den Hüften schlenkernd, in einer der offenen Türen. Ein Playboy vielleicht, dachte Viktor. Muss sich wohl übergeben. Er warf einen Blick nach links. Dort war alles dunkel.
    Viktor legte den Regenmantel ab, verriegelte die Zimmertür und machte sich auf die Suche nach Diana. Ich werde bei Roßschäper vorbeischauen müssen, dachte er. Wo sollte sie sonst sein?
    Roßschäper bewohnte drei Zimmer. Im ersten hatte vor Kurzem ein Gelage stattgefunden: auf langen Tafeln mit fleckigen Tischtüchern türmten sich schmutzige Teller, Aschenbecher, Flaschen und zerknüllte Servietten, und außer einem einsamen, verschwitzten Glatzkopf, der schnarchte und dessen Gesicht in einer Schüssel mit Aspik gelandet war, befand sich hier kein Mensch.
    Im angrenzenden Zimmer dagegen ging es hoch her. Auf Roßschäpers riesigem Bett strampelten ein paar halb nackte, nicht zum Haus gehörende Mädchen mit den Füßen. Sie spielten ein merkwürdiges Spiel mit dem apoplektischen, rotköpfigen Herrn Bürgermeister, der im Bett herumwühlte wie ein Schwein in einem Haufen Eicheln und ebenfalls vor Behagen strampelte und grunzte. Zugegen waren außerdem: der Herr Polizeichef ohne Uniformjacke, der Herr Stadtrichter, dem vor Atemnot die Augen aus den Höhlen zu treten schienen, und ein flinkes Bürschchen in fliederfarbenem Anzug. Die drei spielten hingebungsvoll Kinderbillard, das sie auf einem Toilettentisch aufgebaut hatten, und in einer Ecke saß, an die Wand gelehnt, mit ausgestreckten Beinen und einem idiotischen Lächeln auf den Lippen, der Direktor des Gymnasiums in einer bekleckerten Uniform. Viktor wollte gerade wieder gehen, als ihn jemand am Hosenbein packte. Er sah hinunter und wich zurück. Vor ihm kroch auf allen vieren Roßschäper Nant, Parlamentsmitglied, Ordensritter und Urheber eines aufsehenerregenden Projekts zur Fischzucht in den Kitschinganer Wasserreservoiren.
    »Ich will Pferdchen spielen«, blökte Roßschäper. »Komm, spiel mit mir Pferdchen! Hü!« Er war nicht mehr zurechnungsfähig.
    Viktor befreite sich unauffällig aus seinem Griff und warf einen Blick ins letzte Zimmer. Dort sah er Diana. Anfangs erkannte er sie nicht, dann aber dachte er befremdet: Wie reizend! Das Zimmer war gedrängt voll, irgendwelche Leute – Männer und Frauen –, die er alle schon einmal irgendwo gesehen hatte, standen im Kreis und klatschten in die Hände, und im Mittelpunkt des Kreises tanzte Diana mit dem gelbhäutigen Playboy mit Adlerprofil. Ihre Augen leuchteten, ihre Wangen brannten, das Haar umflatterte ihre Schultern – sie hatte den Teufel im Leib. Das Adlerprofil versuchte es ihr gleichzutun.
    Seltsam, dachte Viktor. Was ist hier los? Etwas stimmte nicht. Er tanzt gut, er tanzt sehr gut. Wie ein Tanzlehrer. Nein, er tanzt nicht, er macht vor, wie man tanzt. Nicht einmal wie ein Lehrer, sondern wie ein Schüler beim Examen. Er will unbedingt eine Eins kriegen. Nein, das ist es nicht. Hör zu, mein Lieber, du tanzt mit Diana! Merkst du das nicht? Viktor ließ seine Fantasie spielen. Ein Schauspieler tanzt auf der Bühne, alles ist gut, alles ist wunderbar, alles läuft, wie es soll, zu Hause aber ist ein Unglück passiert … Nein, nicht unbedingt ein Unglück, sie warten einfach auf ihn, und auch er wartet darauf, dass der Vorhang fällt und die Lichter ausgehen … Das heißt, das ist gar kein richtiger Schauspieler. Ein Unbeteiligter mimt einen Schauspieler,

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