Gesammelte Werke 6
der einen Unbeteiligten darstellt … Spürt Diana nicht, dass da etwas nicht stimmt? Das ist doch eine Puppe. Zwischen den beiden gibt es keinerlei Vertrautheit, nicht die geringste Versuchung, nicht den Schatten eines Begehrens … Man weiß überhaupt nicht, worüber sie miteinander reden könnten. Wie beim Weibertanz … Ist’s Ihnen nicht zu warm? Ja, hab ich gelesen, zweimal sogar … Da sah er, dass Diana die Gäste beiseitestieß und auf ihn zulief.
»Komm tanzen!«, rief sie schon von Weitem.
Jemand trat ihr in den Weg, jemand anderer packte sie am Arm, doch sie riss sich lachend los. Viktor aber hielt nach dem Gelbhäutigen Ausschau, konnte ihn jedoch nirgends ent decken und wurde unruhig.
Diana lief auf ihn zu, fasste ihn am Ärmel und zog ihn in den Kreis.
»Komm schon, komm! Wir sind hier ganz unter uns – einer betrunkener als der andere. Zeig ihnen, was du kannst! Dieses Bürschchen ist doch zu nichts fähig …«
Sie zog ihn in den Kreis, und aus der Menge schrie jemand: »Ein Hurra dem Schriftsteller Banew!« Die vorübergehend verstummte Musikbox grölte wieder los. Diana schmiegte sich an ihn und löste sich dann wieder, sie roch nach Parfüm und Wein, sie glühte, und Viktor sah jetzt nur noch ihr erregtes, schönes Gesicht und ihr wehendes Haar.
»Tanz!«, rief sie, und er begann zu tanzen.
»Schön, dass du gekommen bist.«
»Ja. Ja.«
»Warum bist du so nüchtern? Immer bist du im unpassenden Augenblick nüchtern.«
»Ich werde bald betrunken sein.«
»Heute will ich dich betrunken haben.«
»Ich werd’s sein.«
»Damit ich mit dir machen kann, was ich will. Nicht du mit mir, sondern ich mit dir.«
»Ja.«
Sie lachte erleichtert auf, und sie tanzten schweigend, ohne noch etwas um sich herum wahrzunehmen, selbstvergessen, wie im Traum. Oder im Kampf. So war sie jetzt – wie im Traum oder im Kampf. Diana-die-es-überkommt … Ringsum klatschte alles in die Hände und feuerte sie an, und anscheinend wollte noch jemand tanzen, aber Viktor fühlte sich gestört und stieß ihn weg – Roßschäper rief gedehnt: »Oh, mein armes, betrunkenes Volk!«
»Ist er wirklich impotent?«
»Na klar. Ich wasche ihn doch.«
»Und?«
»Absolut.«
»Oh, mein armes, betrunkenes Volk!«, stöhnte Roßschäper.
»Lass uns gehen«, schlug Viktor vor.
Er nahm sie an der Hand und führte sie aus dem Kreis. Die Leute, die nach Schnaps und Knoblauch stanken, machten ihnen Platz, an der Tür aber vertrat ihnen ein Milchbart mit dicken Lippen und roten Backen den Weg, rief ihnen etwas Freches zu und ballte kampflustig die Fäuste. Viktor sagte nur: »Später, später«, und der Milchbart verschwand. Sie fassten sich an den Händen und liefen durch den leeren Korridor. Ohne Dianas Hand loszulassen, schloss Viktor die Tür auf und sperrte von innen wieder zu. Es war heiß, unerträglich heiß und stickig, und das Zimmer war anfangs groß und geräumig, wurde aber bald eng und schmal … Viktor stand auf, öffnete das Fenster, und die dunkle, feuchte Luft strömte über seinen nackten Oberkörper. Er kehrte ins Bett zurück, tastete im Dunkeln nach der Ginflasche, nahm einen Schluck und reichte sie Diana. Dann legte er sich hin; links kam kalte Luft herein, rechts aber war etwas Heißes, Seidiges, Zartes. Jetzt hörte er, dass das Gelage andauerte – die Gäste sangen im Chor.
»Geht das noch lange so?«, wollte er wissen.
»Was?«, fragte Diana schläfrig zurück.
»Grölen die noch lange herum?«
»Keine Ahnung. Was kümmert’s uns?« Sie drehte sich auf die Seite und lehnte ihre Wange gegen seine Schulter. »Mir ist kalt«, klagte sie.
Sie krochen unter die Decke.
»Schlaf nicht«, bat er.
»Hm«, murmelte sie.
»Fühlst du dich wohl?«
»Hm.«
»Und wenn ich dich am Öhrchen …«
»Ah. Hör auf, das tut weh.«
»Hör mal, könnte ich nicht eine Woche hierbleiben?«
»Ja.«
»Und wo?«
»Ich möchte schlafen. Lass eine arme betrunkene Frau doch schlafen.«
Er verstummte und lag eine Weile reglos da. Diana war schon eingeschlafen. Das mache ich, dachte er. Hier werde ich Ruhe haben – nur abends nicht. Vielleicht aber auch abends. Er wird doch nicht jeden Abend saufen, schließlich ist er zur Kur hier. Ich werde drei oder vier, vielleicht auch fünf oder sechs Tage hierbleiben und weniger trinken, am besten überhaupt nichts, und arbeiten. Ich habe lange nicht mehr gearbeitet. Wenn es mit der Arbeit was werden soll, muss man sich regelrecht danach sehnen und nichts anderes mehr
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