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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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unserer liberalen Zeit viel erlaubt. Er darf sogar ein Säufer sein und stehlen, was nicht niet- und nagelfest ist, uneigennützig, versteht sich. Er darf ein schlechter Familienvater, ein Faulpelz und Versager sein, leichtsinnig und oberflächlich. Aber eins verbietet sich dem positiven Helden doch: Misanthropie. Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein literarischer Held, der sich erkühnt, ungerührt an einem Vöglein mit gebrochenem Flügel vorbeizugehen, positiv wahrgenommen wird. Folglich bin ich, Felix Alexandrowitsch Sorokin, nach allen literarischen Normen des In- und Auslands bestenfalls ein moralischer Krüppel.
    Dieser Schluss belustigte mich und hob meine Laune. Erstens konnte ich auch heute wieder der Bannaja fernbleiben und hatte dafür nicht nur einen legitimen, sondern einen höchst humanitären Grund. Und zweitens … Zweitens genügte erstens. Für den Rückweg würde ich ein Taxi nehmen, Geld hatte ich ja, Gott sei Dank. Ich würde nach Birjulewo fahren, das Methusalin abliefern und mit demselben Taxi weiterbrausen, direkt zum Klub …
    Ich nickte ein und dachte im Halbschlaf, dass dieses neue Medikament einen recht merkwürdigen Namen hatte. Methusalin. Das klang nach Türkei, nach dem Nahen Osten. Methusalem … Aus der Bibel?
    Das Institut fand ich ohne Schwierigkeit. Der Bus hielt gegenüber der Pförtnerloge, zu deren Seiten sich ein hoher Zaun endlos die leere Straße entlangzog. Ein Schild gab es am Hofeingang keins. Auf der Vortreppe stand, die Hände in den Taschen, ein Mann, der eine Schapka mit hochgeschlagenen Ohrenklappen trug, jedoch keinen Mantel. Er musterte mich, sagte aber nichts, und ich trat in die völlig überheizte Pförtnerloge. Wahrscheinlich hätte ich, ohne nach rechts und links zu sehen, einfach den Flur entlang und am anderen Ende wieder hinausgehen sollen, aber so etwas liegt mir nicht. Also schob ich mein Gesicht dicht vor das winzige Schalterfenster und fragte: »Wie komme ich zu Iwan Dawydowitsch Martinson?«
    Hinter dem Fensterchen schlürfte ein alter Mann in speckiger Jacke Tee aus der Untertasse und lutschte Zuckerwürfel dazu. Gemächlich stellte er das dampfende Schälchen zurück auf den Tisch, zog eine schmierige paspelierte Uniformmütze hervor und stülpte sie sich korrekt auf die Glatze.
    »Passierschein«, forderte er.
    Ich erklärte, dass ich keinen Passierschein hatte, und dieses Geständnis bestätigte, wie es schien, seine schlimmsten Befürchtungen – als hätte man ihn schon am Morgen gewarnt, dass heute einer ohne Passierschein käme und er ihn auf keinen Fall einlassen dürfe. Er zwängte sich hinter dem Tisch hervor, rückte in den Flur hinaus und postierte sich vor dem Drehkreuz. Ich begann zu wimmern und zu betteln. Aber je kläglicher ich bettelte, desto standhafter wurde der Alte; das zog sich hin, bis mir plötzlich klarwurde, dass das Hindernis vor mir unüberwindlich war und ich somit leichten Herzens von hier fort direkt zur Bannaja und danach in den Klub fahren konnte. Genüsslich nannte ich das Großväterchen eine alte Laus, drehte mich zufrieden um und schritt davon.
    Aber ach, es kam anders!
    »Er lässt dich also nicht rein«, stellte der Mann mit den hochgeschlagenen Ohrenklappen fest.
    »Die alte Laus, die persische«, fügte ich hinzu.
    Und da erzählte mir der Mann, ungefragt und bereitwillig, dass heute niemand mehr durch die Pförtnerloge gehe, da man dort keinen einließe; heute stiegen alle durch den Zaun, hundert Meter weiter sei ein Loch, und durch dieses Loch kletterten alle. Wer hätte auch Spaß daran, einen Umweg von drei Werst die Bogorodsker entlang zu machen, wenn er bloß durch den Zaun brauchte, quer über das Institutsgelände und dann wieder durch den Zaun – und schon befände er sich vor dem Schnapsladen.
    Was blieb mir übrig? Ich dankte dem guten Menschen und folgte aufs Haar seinen Angaben. Von der Bresche im Zaun führte ein ordentlich festgetretener Weg durch das riesige schneeverwehte Gelände. Rechter Hand erstreckte sich eine befestigte Baustelle, links stand ein fünfstöckiger weißer Ziegelblock mit breiten Schulfenstern. Offenbar war dies das eigentliche Institut; in seine Richtung zweigte vom Weg ein schmaler Pfad ab, ebenfalls gut festgetreten.
    Vor dem Eingang zum Institut öffneten gerade drei Männer – auch sie ohne Mäntel und in Mützen mit hochgeschlagenen Ohrenklappen – einen Container, der mit fremdländischen Aufschriften beklebt war. Die Treppe zum Institut war breit

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