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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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niemals verdienen. Daher gibt es auch keinerlei Unterschied zwischen dem angesehenen Felix Sorokin und dem vierundfünfzigjährigen Lump, der sich daranmacht, über den »Kursker Bogen« zu schreiben – und nicht etwa über die Baikal-Amur-Magistrale oder die Ränke im hiesigen Forschungsinstitut. Nein, er schreibt darüber, was er nur aus dem Kino kennt, was er in Filmen von Juri Oserow gesehen hat. So sieht’s aus, wenn du ehrlich bist, Felix Alexandrowitsch …
    Ich kann solche Durchhänger bei der Arbeit nicht ausstehen, sie machen mich krank. Und so beschloss ich auf der Stelle, mir nicht die Laune verderben zu lassen. Ich hatte genug anderes zu tun, und es wäre dumm gewesen, hier herumzusitzen und Trübsal zu blasen. Man erwartete mich in der Bannaja.
    Hastig stopfte ich mein unfertiges Drehbuch in die eigens dafür vorgesehene Kunststoffhülle und begann mich anzuziehen. »Das Wandern ist des Müllers Lust«, brummte ich, wobei ich mir ächzend die Stiefel anzog. »Vom Wasser haben wir’s gelernt«, sang ich aus vollem Halse, während ich mein Glanzstück, »Die Korjagins«, einsteckte. Ich verscheuchte meine Angst. »Schlimmstenfalls muss ich den Vorschuss zurückgeben!«, sagte ich laut und zwängte mich in meine Jacke. Doch es ging gar nicht um den Vorschuss. Irgendwie hatte ich in letzter Zeit allzu oft solche Durchhänger – im Klartext: Anfälle von Widerwillen gegen die Arbeit, die mich ernährt.
    Als ich auf dem Treppenabsatz stand, dachte ich – um mich endgültig abzulenken – darüber nach, dass mir nun schon den dritten Tag nichts Unsinniges oder Idiotisches mehr zugestoßen war – anscheinend war der, der mein Schicksal lenkte, völlig ausgebrannt und nicht einmal mehr für dumme Hexereien zu gebrauchen … Der Fahrstuhl kam und kam nicht, weder der große noch der kleine, und so schlug ich gegen die zwei Türen und lauschte. Von unten drangen dumpf und undeutlich Stimmen herauf. Ich fluchte und nahm die Treppe.
    Im neunten Stock fiel mir auf, dass die Wohnungstür des Dichters Kostja Kudinow weit offen stand. Aus der Türöffung schob sich ein breiter Rücken im weißen Kittel heraus. Na bitte, schon wieder, dachte ich sofort. Und ich irrte nicht. Kudinow wurde auf einer Trage herausgebracht, und der große Lift war seinetwegen blockiert. Kostja sah grünlich bleich aus, seine trüben Augen rollten mal nach außen, mal zur Nasenwurzel, der Mund war besabbert und hing schlaff herab.
    Zuerst schien mir, als sei Kostja bewusstlos, und ich kann nicht behaupten, dass mich dies sehr erschütterte oder berührte. Wir waren lediglich Bekannte, Bewohner desselben Hauses und Mitglieder derselben Schriftstellerorganisation, der mehrere Tausend Menschen angehörten. Ungefähr vor zehn Jahren war er bei irgendeiner Kampagne öffentlich gegen mich aufgetreten, mit ungereimtem Geschwafel, aber recht bissig. Später hatte er sich freilich entschuldigt, mit der Begründung, er habe mich mit dem anderen Sorokin verwechselt, mit dem Kinderbuchautor. Seitdem grüßen wir uns freundlich, wenn wir uns begegnen, tauschen Neuigkeiten aus und bedauern, dass wir es einfach nicht schaffen, uns einmal zusammenzusetzen. Doch eigentlich ist er für mich ein Niemand, und jetzt, bei seinem Anblick, war ich überzeugt, dass er nur wieder über sein übliches Quantum hinaus getrunken hatte. Kurzum: Dem üblichen Verlauf der Dinge nach, würde man den Dichter Kostja Kudinow jetzt in den bereitstehenden Aufzug verfrachten, die Türen würden sich schließen und ihn meinen Blicken entziehen. Ich würde mich beim Arzt erkundigen, was los war, und den kleinen Vorfall am Abend irgendwem im Klub erzählen.
    Aber wie sich erwies, war der, der mein Schicksal lenkte, noch bei Kräften.
    »Felix!«, hauchte Kostja so verzweifelt, dass die Sanitäter, gespannt, was nun kommen würde, sofort stehen blieben. »Dich hat mir Gott geschickt, Felix …«
    An der Stelle verdrehte er die Augen und verstummte. Doch kaum setzten sich seine Träger wieder in Bewegung, fing er erneut an. Er redete verworren, artikulierte schlecht, röchelte, flüsterte und verlangte immerzu, ich solle etwas aufschreiben. Also öffnete ich gehorsam meine Mappe, zog einen Kugelschreiber hervor und notierte auf der Klappe: »Sokolniki, Bogorodsker Chaussee, Buslinie 239, Institut, Martinson Iwan Dawydowitsch, Methusalin«. Das bedeutete, ich musste jetzt ans entgegengesetzte Ende Moskaus fahren, in der Bogorodsker Chaussee ein geheimnisvolles Institut aufstöbern,

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