Gesammelte Werke 6
»Kropotkinskaja«, und ich hastete zur Tür.
Die stark kurzsichtige Diensthabende am Klubeingang verlangte meinen Schriftstellerausweis, und ich versuchte zum x-ten Mal, ihr beizubringen, dass ich seit einem Vierteljahrhundert Schriftsteller war und seit mindestens fünf Jahren an ihr vorbei in den Klub marschierte. Doch die alte Brennnessel glaubte mir kein Wort, bis endlich Onkel Kolja von der Garderobe her dröhnte: »Das ist einer von uns, Marja Trofimowna!« Da wurde ich eingelassen.
Während ich mit Onkel Kolja über das Wetter plauderte, zog ich mich betont langsam aus, nahm ein Exemplar unserer Klubzeitung vom Garderobentisch und legte dafür eine Münze hin, kämmte mir Haare und Schnurrbart, nickte dabei den Gesichtern von Bekannten zu, die im Spiegel auftauchten, und erst danach, als alles Lästige und Beunruhigende von mir abgefallen war und mich ein angenehmes Behagen erfüllte, betrat ich munter das Restaurant.
Weiter verlief alles meinem Programm entsprechend – lediglich Milchpilze gab es nicht. Während ich die Soljanka löffelte, versammelte sich nach und nach die übliche Gesellschaft um meinen Tisch. Als Erster kam Garik Aganjan, der eine Stunde später zum Seminar musste. Er trank deshalb nichts und bestellte sich nur eine Kleinigkeit zu essen. Wir hatten noch keine zwei Worte gewechselt, als von einem Tisch in der hinteren Ecke Shora Naumow herbeihinkte. In der rechten Hand hielt er eine zur Hälfte geleerte Karaffe, in der linken ein Schüsselchen mit einem Salatrest. Wie sich herausstellte, war er am Morgen nur auf einen Sprung nach Moskau gekommen, auf der Durchreise von Krasnodar nach Tallinn. Die Ernteaussichten im Süden waren gut, die Ernteergebnisse lagen allerdings, wie immer, in Gottes Hand. Und dann tauchte Walja Demtschenko auf, unter dem Arm einen neuen Spazierstock, dessen Griff die Form einer Löwenpranke hatte.
Wir begutachteten den Stock, sprachen über die Ernte des Wintergetreides und über die vorjährige Reblausplage; Garik erklärte uns mithilfe seiner Gabel auf dem Tischtuch, wie eine in der Presse veröffentlichte Notiz unter dem Titel »Ein Loch im All« zu verstehen sei, und dann erzählte ich von meinen Scherereien und Kostja Kudinows Unglück.
Die Reaktion darauf war dürftig und anders, als ich erwartet hatte. Garik murmelte verächtlich: »Keine Bange, der kommt wieder auf die Beine, Unkraut vergeht nicht.« Walja zitierte einen alten, von ihm selbst zu Kostja erfundenen Satz: »Gestern begrüßte der Assistent des Vorsitzenden der Auslandskommission, Genosse Kudinow, im Weißen Saal eine Gruppe von Schriftstellern Paraguays als Gruppe von Schriftstellern Uruguays …« Und Shora Naumow schilderte, während er die Welt durch ein Glas Wodka betrachtete, einen Auftritt des Studenten Kostja Kudinow – auf einer Studienjahresversammlung des Literaturinstituts im denkwürdigen Jahr ’49, damals, als Kudinow noch rotwangig, hitzig und trocken gewesen war. Nachdem Shora geendet hatte, schwiegen alle, bis Walja interessiert fragte: »Na, und du?« – »Was ich?«, entgegnete Shora aggressiv. »Die Fresse wollte ich ihm polieren, aber er war damals baumstark, Gewichtheber, Leistungssportler, verstehst du? Mir dagegen hatten sie beide Beine zerschossen, ich hing zwischen Krücken …« – »Und später«, warf Garik ein. »Als du wieder ohne Krücken laufen konntest, und überhaupt, im segensreichen Jahr ’59, hat er sich da nicht bei dir entschuldigt?« – »Selbstverständlich! Sogar Verse hat er mir gewidmet in der Literaturzeitung. So à la Puschkin, über die Lyzeumsfreundschaft.« – »›Es mag ja sein, du bist Tatar …‹«, vermutete Walja boshaft. Wir brachen in Gelächter aus, allerdings nicht sehr fröhlich; anschließend redeten wir über Gedichte, und dann kam das Gespräch auf die Bannaja.
Alle, außer mir, waren bereits dort gewesen. Der disziplinierte Garik war gleich hingegangen, noch im Oktober.
»Absolut uninteressant!«, stellte er fest. »Sie haben da einen ziemlich armseligen Computer, einen ›ES 10-20‹ vielleicht, oder sogar einen ›Minsk‹ von der primitiveren Sorte. Und davor sitzt ein Nichtstuer im schwarzen Kittel, nimmt dein Manuskript entgegen und gibt es Blatt für Blatt in den Schlitz ein. Auf dem Display leuchten Ziffern auf, und dann kannst du seelenruhig wieder nach Hause gehen.«
Shora, der kurz vor Neujahr dort gewesen war, widersprach: »Ein Computer stand da nicht, nur graue Schränke, und der Nichtstuer trug
Weitere Kostenlose Bücher