Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
Vom Netzwerk:
kaum, mich zu waschen, anzuziehen und zu frühstücken. Vom Kognak stand noch über die Hälfte da, und der Rest »Salut« hätte bestimmt für ein volles Glas gereicht. Ich schwankte, ob ich mir meinen Rausch mit Alkohol austreiben sollte, aber im selben Moment, also zur Unzeit, fiel mir ein, dass die Ärzte heutzutage im »Katersyndrom« das wichtigste Anzeichen einer Alkoholsucht sehen, und so ließ ich die Finger von der Flasche. Mein Gott, dachte ich, wie gut, dass Klara nicht hier ist, um mir zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe, wie gut, dass ich allein bin.
    Natürlich rief genau in dem Augenblick Katja an und erkundigte sich besorgt (und auch ein wenig giftig): »Na, hast du wieder deine Gefäße erweitert?« Und natürlich musste ich ein weiteres Mal lügen und mich rechtfertigen, umso mehr, als ich wegen der Anfertigung ihres Pelzmantels in unserem Atelier immer noch nichts unternommen hatte. Doch Katja rief keineswegs wegen des Mantels an. Wie ich erfuhr, hatte sie die Absicht, mich heute oder morgen Abend zu besuchen und mir die bestellten Lebensmittel zu bringen. Nur darum ging es ihr. Wir legten auf, und aus lauter Freude goss ich mir fingerbreit Kognak ein; danach fühlte ich mich besser. Das Wetter versprach wunderbar zu werden. Nichts erinnerte an das gestrige Schneetreiben, die Sonne, die sich seit Neujahr nicht hatte blicken lassen, lugte hervor, und die bizarr geformte Schneewehe auf meinem Balkon funkelte lustig; anscheinend war es frostig kalt, denn jedes Auto auf der Chaussee zog eine Schleppe aus weißem Dampf nach sich. Mein Blutdruck hatte sich eingependelt, und es gab keinen Grund, mich nicht an mein Drehbuch zu setzen.
    Beim Schneider hatte ich übrigens schon dreimal angerufen, jedes Mal erfolglos. Aber ich muss gestehen, dass meine Anrufe eher phlegmatisch gewesen waren: Beabsichtigt jemand ernsthaft, seiner Tochter einen Pelz anfertigen zu lassen, muss er sich persönlich ins Atelier bemühen,allegorische Körperbewegungen vollführen und allegorische Phrasen aufsagen – und riskiert doch, grob, niederträchtig und zum eigenen Schaden behandelt zu werden.
    Ich setzte mich also an die Maschine und begann sogleich mit dem Satz, der mir schon gestern eingefallen war. Ich hatte aber noch keinen Gebrauch davon gemacht, sondern ihn als zündenden Anfang extra für heute aufgehoben: »Der Beschuss gilt nicht ihnen, sondern den Genossen weiter rechts …« Zuerst ging es flott voran, frisch und munter, wie bei einem Suworowschüler, doch schon nach einer guten Stunde ertappte ich mich dabei, dass ich träge dahockte und stumpfsinnig immer wieder den letzten Absatz las: »Der Kommissar starrt nach wie vor den brennenden Panzer an. Unter seiner Brille rinnen Tränen hervor, er wischt sie nicht ab. Sein Gesicht ist unbewegt und ruhig.«
    Ich fühlte bereits, dass ich festsaß – festsaß für lange, ohne Lichtblick. Und das nicht etwa, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie sich das Geschehen weiterentwickelte – nein, die Ereignisse hatte ich auf fünfundzwanzig Seiten vorausbedacht … Die Sache stand viel schlimmer: Ich empfand so etwas wie Übelkeit im Gehirn.
    Ich sah zwar alles ganz deutlich vor mir: das Gesicht des Kommissars, den halb zerstörten Schützengraben und den brennenden »Tiger«. Aber alles war wie aus Pappmaché, aus Karton und bemaltem Sperrholz. Als stünde es auf der Bühne eines heruntergekommenen Kulturzentrums.
    Wieder einmal dachte ich mit trauriger Genugtuung, dass man entweder über das schreiben sollte, was einem vertraut ist, oder über das, was niemand kennt. Die Mehrheit vertritt zwar eine andere Meinung – aber was soll’s? Meine Tochter hat recht: Es ist besser, zur Minderheit zu gehören.
    Verdammt, dachte ich fast schon verzweifelt. Es gibt doch so viele, denen es gegeben ist, vom Schicksal gegeben, und in vollem Maße … Unsere Vergil-Dichter in den Katakomben, die unauslöschliche Hölle aus Feuer und Eis; dann gibt es Simonow, den von mir verehrten Konstantin Michailowitsch und Wasil Bykow, der bittere Meister, dann der unvergleichliche Bogomolow, der erstaunliche »Saschka« von Wjatscheslaw Kondratjew, es gibt Grischa Baklanow, den ich ebenfalls sehr verehre, und den frühen Bondarew … Ich kann nicht alle aufzählen, und das ist auch nicht nötig. Wozu? Ich sollte lieber weinen, weil ich nie unter ihnen sein werde. Ich habe es auch nicht verdient – weder durch mein Blut noch durch den Dreck der Schützengräben, und ich werde es

Weitere Kostenlose Bücher