Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
Vom Netzwerk:
und flach, und die verglaste, ebenfalls breite Eingangstür befand sich unter einem Vordach aus Beton. Ich schlenderte an den Männern vorüber, stieg die Stufen hinauf und trat ins Vestibül.
    Es war ein großer Raum, von Quecksilberlampen erhellt und voller Leute, die, wie mir schien, keinerlei Beschäftigung nachgingen, sondern nur in Grüppchen beieinanderstanden und rauchten. Aus Erfahrung klug, fragte ich nichts und niemanden, sondern steuerte geradewegs die Garderobe an, wo ich ablegte – immer bemüht, mit düsterer, sorgenschwerer Miene meine Mappe zur Schau zu stellen.
    Dann kämmte ich mich vor dem Spiegel und stieg hinauf in den ersten Stock. Warum ausgerechnet in den ersten, hätte ich nicht erklären können, aber es verlangte ja niemand eine Erklärung von mir. Auch hier war der Fußboden gefliest, leuchteten Quecksilberlampen, standen grüppchenweise Leute mit Zigaretten herum. Ich entschied mich für einen jungen Mann, der sich abseits hielt. Seine Miene war ebenfalls düster und sorgenschwer, und ich dachte, dass er gewiss nicht fragen würde, wer und warum ich hier war und ob ich das Recht dazu hatte.
    Ich irrte mich nicht. Leicht abwesend, ohne einen Blick auf mich zu werfen, antwortete er, dass Martinson wahrscheinlich bei sich auf dem Abort sitze; das sei im zweiten Stock, gleich hinter den Skeletten rechts, die Tür mit der Nummer siebenunddreißig.
    Skelette konnte ich im zweiten Stock nicht entdecken, und ich weiß auch nicht, was der junge Mann mit seiner bildhaften Ausdrucksweise gemeint hatte: der Abort Nummer siebenunddreißig erwies sich als geräumiges, sehr helles Zimmer. Es strahlte von Glas und flimmernden Lichtern; auf Bildschirmen, wo sie auch hingehörten, schlängelten sich grüne Kurven; über allem hing ein Geruch nach künstlichem Leben und vernunftbegabten Maschinen, und in der Mitte saß, mit dem Rücken zu mir, ein Mann und telefonierte.
    »Hör auf!«, dröhnte er. »Welches Gesetz? Mach ein bisschen mehr Druck! Wieso Lomonossow-Lavoisier? Hauptsache, du machst Druck!«
    Dann legte er auf, drehte sich zu mir um und herrschte mich an: »Bei der Gewerkschaftsleitung!«
    Ich sagte, ich müsse Iwan Dawydowitsch Martinson sprechen. Er lief rot an. Sehr groß war er, breitschultrig, hatte einen Stiernacken und zerzauste scheckige Haare.
    »Ich sagte: Bei der Gewerkschaftsleitung!«, blaffte er. »Und dort von drei bis fünf! Hier rede ich nicht mit Ihnen. Ist das klar?«
    »Ich komme von Kostja Kudinow«, nuschelte ich leise.
    Er stockte. »Von Kostja? Und worum handelt es sich?«
    Ich erzählte. Während ich redete, stand er auf, ging um mich herum und schloss fest die Tür.
    »Wer sind Sie überhaupt?«, wollte er wissen. Die Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Jetzt erschien er mir fast blass. In die Augen sah er mir nicht.
    »Ich bin ein Nachbar.«
    »Das habe ich verstanden«, sagte er ungeduldig. »Wer Sie sind, will ich wissen!« Ich stellte mich vor.
    »Ihr Name sagt mir nichts«, erklärte er und blickte mich an. Seine Augen waren schwarz und standen dicht beieinander, sehr dicht.
    Ich wurde wütend. Verdammt noch mal! Wieder muss ich mich rechtfertigen. »Ihr Name sagt mir übrigens auch nichts«, entgegnete ich. »Und trotzdem bin ich durch ganz Moskau zu Ihnen gefahren …«
    »Haben Sie einen Ausweis bei sich?«, unterbrach er mich. »Wenigstens irgendeinen …« Ich hatte keinen Ausweis. So etwas trage ich nicht mit mir herum.
    Er dachte nach. »Also schön, ich nehme das selbst in die Hand. Wie meinten Sie, in welcher Klinik ist er?«
    Ich wiederholte es.
    »Mag ihn doch dort …«, knurrte er. »Das ist ja wirklich am anderen Ende der Stadt … Na gut, gehen Sie. Ich übernehme das.«
    In mir kochte es, ich wandte mich um und hatte schon die Klinke in der Hand, als ihm noch etwas einfiel.
    »He, errr-laub-en Sie mal!«, toste er. »Wie sind Sie überhaupt hereingekommen? Ohne Passierschein! Sie konnten sich doch nicht einmal ausweisen.«
    »Durch das Loch«, erwiderte ich gallig.
    »Durch welches Loch?«
    »Na, durch das Loch im Zaun!«, erklärte ich rachsüchtigund ging hinaus. Ganz in Weiß …
    Auf der Treppe kam mir auf einmal ein fürchterlicher Gedanke: Was, wenn der grimmige Martinson jetzt telefonierte und in einer Minute Wachmänner und Handwerker zu allen Löchern im Zaun rannten und ich im Sack saß, wie der geschlagene Paulus … Ich hielt es nicht mehr aus, lief los und verfluchte dabei immer wieder Kostja Kudinow, seinen Botulismus und mein

Weitere Kostenlose Bücher