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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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dort zu einem gewissen Martinson vordringen und von ihm für Kostja dieses Methusalin erbitten. (»Wenigstens zwei, drei Tropfen … Mir steht das nicht zu, aber er muss mir trotzdem etwas geben, sonst sterbe ich …«) Danach schlossen sich die Türen des Fahrstuhls, und ich blieb allein auf dem Treppenabsatz zurück.
    Ich will offen sein: Ich verspürte keinerlei Mitleid für Kostja und erst recht keine Lust auf die von ihm gewünschten, höchst komplizierten Bewegungen in Raum und Zeit (meiner persönlichen, wohlgemerkt). Wieso auch? Wer war er denn für mich? Ein wenig bekannter Dichter, der zu viel trank, und der außerdem einmal gegen mich vorgegangen war. Irrtümlich zwar, aber eben gegen und nicht für mich! Natürlich würde ich jetzt nirgendwohin fahren, auch nicht in die Bannaja; zu sehr hatte mich das alles verwirrt und mitgenommen … Doch in dem Augenblick kam aus Kostjas Wohnung noch einer mit weißem Kittel und stellte sich neben mich vor die Aufzugtür. Nach Stethoskop und Hornbrille zu urteilen war es der Arzt, ein prima Doktor Dolittle mit einer nicht angezündeten »Belomor« im Mundwinkel. Ich fragte ihn, was mit Kostja sei, und er antwortete, es handle sich vermutlich um Botulismus, eine schwere Konservenvergiftung. Ich erschrak. Ich hatte mich früher einmal an Konserven vergiftet, auf Kamtschatka, und hätte fast das Zeitliche gesegnet.
    Die Fahrstuhltüren schoben sich auseinander, der Arzt und ich stiegen ein, und ich fragte ihn – nachdem ich noch einmal auf meine Notiz gesehen hatte –, ob denn Methusalin Kostja helfen würde. Der Arzt blickte mich verständnislos an, und ich las es ihm Silbe für Silbe vor: Me-thu-sa-lin. Er hatte nie davon gehört, und ich schlussfolgerte, dass es wohl ein neues, sogar sehr neues Medikament sein müsse.
    Am Krankenwagen trennten sich unsere Wege. Der arme Kostja wurde nach Birjulewo gebracht, in die neue Klinik, und ich trabte zur Metro.
    Nach wie vor fehlte mir alle Lust, irgendwohin zu fahren. Ich machte mir nichts vor, und es traf mich wie eine Offenbarung: Kostja war mir eigentlich nie sympathisch gewesen, ein völlig fremder, grunddummer und ganz und gar unbegabter Mensch! Sein Botulismus rief zwar ein gewisses Mitgefühl hervor, aber auch Wut, und diese Wut wuchs mit jeder Minute. Warum, zum Teufel, musste ich, ein älterer, kranker Mann, durch die ganze Stadt zu einem geheimnisvollen Institut und einem geheimnisvollen Martinson trotten, um dieses gleichermaßen geheimnisvolle Methusalin zu besorgen, das nicht mal ein Arzt kannte. Das bedeutete herumirren, Leute fragen, suchen und dann bitten und betteln, denn Kostja hatte selbst zugegeben, dass ihm die Tropfen nicht zustanden … Bestimmt würde sich herausstellen, dass es so ein Institut gar nicht gab, und wenn doch, dass dort kein Martinson arbeitete. Das alles waren bloß Hirngespinste, Visionen eines fast Ohnmächtigen. Er war doch vergiftet, stark vergiftet …
    Ich quälte mich bis zur Metro, wobei ich auf zugewehten vereisten Fahrrinnen ausglitt und im Schnee einsank, den die Hauswarte nicht geräumt hatten. Ich dachte mir immer neue Ausreden aus, obwohl ich schon wusste: Je mehr Ausflüchte ich mir zusammensuchte, desto sicherer führte mich mein Weg durch ganz Moskau, bis hinter Sokolniki, zu Iwan Dawydowitsch Martinson, und dann wieder mit drei Tropfen des kostbaren Methusalin zurück durch ganz Moskau nach Birjulewo, um den absolut uninteressanten, mir unsympathischen Dichter Kostja Kudinow zu retten …
    Gott sei Dank fuhr die Metro von hier bis Sokolniki durch, und um diese Zeit – gegen zwei Uhr – war sie ziemlich leer. Ich verkroch mich in eine Ecke und schloss die Augen. Meine Gedanken nahmen eine etwas andere, man könnte sogar sagen, professionelle Wendung.
    Wieder einmal grübelte ich darüber nach, dass Literatur, sei sie auch noch so realistisch, hinsichtlich der inneren Welt des Menschen nur sehr vage der Wirklichkeit entspricht. Ich versuchte, mich an wenigstens ein literarisches Werk zu erinnern, in dem sich der Held – in meine oder eine ähnliche Lage geraten – erlaubt hätte, einigermaßen deutlich seinen Unmut zu äußern. Doch Fehlanzeige, der Leser hätte ihm das nie verziehen! Selbst wenn der Held trotzdem gefahren wäre, Tausende von Hindernissen bezwungen und Wunder an Heldentum vollbracht hätte, wäre ein Fleck auf seiner Weste geblieben – in den Augen des Lesers und erst recht in denen des Verlegers.
    An und für sich ist dem positiven Helden in

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