Gesammelte Werke 6
festen Schrittes den Läufer entlang zum Ausgang.
Der hell erleuchtete Saal war bereits gefüllt, kein freier Stuhl war geblieben. An einer Stelle hatte man Tische für eine größere Gesellschaft zusammengerückt; der Tabakrauch waberte in mehreren Schichten über den Köpfen, durchsichtiges Nass funkelte in beschlagenen Gläsern, vielfach schlug Metall an Glas und Porzellan, Freundschaftsbeteuerungen wur den laut, und im hinteren Winkel, am künstlichen Kamin, rezitierte ein Weißhaariger mit Predigerorgan bereits seine Gedichte, während in einer anderen Ecke eine Kompanie Leibgardisten mit an die Brust gehobenen, gefüllten Pokalen strammstand und einem Toast lauschte, der ihren kühnsten Hoffnungen entsprach – wahrscheinlich bedauerten sie nur, dass sie nicht, wie bei dem früheren Direktor, die leeren Gläser zu Boden schmettern und die Scherben mit dem Absatz zertreten durften –, und von Tisch zu Tisch schlenderte, freundlich lachend, der den Lesern kaum bekannte, dafür aber bei fast allen hier beliebte Schura Peklewany, klopfte den Sitzenden auf die Schulter, beugte sich über die Hände der Damen und schlug immer wieder Einladungen, sich zu setzen, aus, denn er steuerte einem ganz bestimmten Tisch zu; Peklewany wusste immer, an welchen Tisch man sich am jeweiligen Tag setzen musste. In ein lautes Gespräch vertieft, polterte bereits die Gilde der Kritiker und Literaturwissenschaftler, deren Sitzung soeben zu Ende gegangen war, die Holztreppe vom Zwischengeschoss herab und zerfloss zwischen den Tischen, grüßte, nahm Platz, verabschiedete sich. Und in diesem ganzen Strudel, genau in der Mitte des Saales, machte eine Gruppe junger Leute den Chefredakteur einer Provinzzeitschrift betrunken, einen breiten, fast quadratischen Mann aus dem Osten;er trug Tjubetejka und ein handelsübliches Jackett, dessen Revers übersät war von merkwürdigen Abzeichen. Herrlich pulsierte das Leben hier. Ich aber musste mich wieder ans Ende der Welt schleppen und dachte bedrückt darüber nach, was er, der mein Schicksal zu lenken hatte, sich wohl noch alles einfallen ließe …
Aber ich hatte Glück, erwischte sofort ein Taxi, und eine halbe Stunde später hatten wir die Klinik in Birjulewo gefunden. Als ich Kostjas Zimmer betrat, saß er aufrecht in seinem Bett, die Beine zum Schneidersitz untergeschlagen, und kratzte widerwillig einen Rest Grießbrei vom Teller. Er trug die Krankenhauskluft, mit Klinikstempeln gezeichnet, sah ansonsten aber gar nicht schlecht aus. Natürlich hätte ich ihn nicht gerade als rotwangigen Kraftprotz bezeichnet – dafür war sein Gesicht zu blass –, aber an einen Sterbenden erinnerte er nicht mehr, obgleich sein Kinn schon wieder besabbert war … mit Grießbrei.
Es war ein Sechsbettzimmer. Am Fenster lag jemand am Tropf, ansonsten war niemand da; alle waren zum Eishockey gegangen.
Kaum hatte Kostja mich gesehen, sprang er schon auf und stürzte so ungestüm auf mich zu, dass ich einen Schreck bekam: Er wollte mich doch nicht etwa umarmen! Aber er beschränkte sich darauf, meine Hand zu drücken und herzlich zu schütteln. Er drückte und schüttelte und redete unentwegt auf mich ein, wobei er sich immer wieder zu dem Mann am Tropf umsah. Nicht zu Wort kommen ließ er mich! Er erzählte, wie er gespien und dann Durchfall bekommen, wie man ihm den Magen und später die Därme gespült hatte, wie er gespritzt, massiert und ihm Sauerstoff verabreicht worden war. Dabei blickte er sich ständig um, trat mir auf die Füße und drängte mich zur Tür.
»Was rempelst du mich so an?«, fragte ich schließlich im Flur.
»Gehen wir, setzen wir uns«, schlug er vor. »Dort, auf die Bank unter der Palme.«
Wir setzten uns. Der Flur war leer, nur in der Ferne hörte man die diensthabende Schwester leise mit den Medizinflaschen klirren. Kostja plapperte immer noch, wenn auch deutlich weniger erregt. Die ungestüme Freude, die er bei meinem Erscheinen gezeigt hatte, hielt ich für Euphorie aus überschwänglicher Dankbarkeit, und ich weiß noch, wie ich dachte: Sieh mal an, auch ein Tier hat also Gefühle. Und dann nutzte ich die erste Pause in seinem Redeschwall und erkundigte mich gutmütig: »Es hat also geholfen?«
»Was denn?«, fragte er schnell.
»Na, dein … Methusalem …«
»Ja!«, rief er begeistert mit schriller, gepresster Stimme, und fasste wieder meine Hand. »Ja! Wäre das nicht gewesen … Hier spülen sie einem doch gleich den Magen aus, unter Druck, stell dir vor. Ein Klistier
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