Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
Vom Netzwerk:
ich mich nicht, auch hatte ich keine Ahnung, welcher Art sein Verhältnis zur Literatur war. Vermutlich bestand es lediglich darin, ganze Tage in unserem Billardzimmer zu hocken.
    In meiner Abwesenheit war eine große Flasche Getreidewodka auf den Tisch gestellt worden, dazu hatte sich – wie auch früher schon des Öfteren – mein guter Freund Slawa Krutojarski aus dem Nachbarhaus gesellt: dürr, dunkelhäutig, langhaarig, glänzend wie Chrom und mit einem Hang zum Theoretisieren.
    »Was ist Kritik?«, fragte er gerade Shora Naumow, der sein flauschiges Jackett ausgezogen und über die Stuhllehne gehängt hatte. »Damit meine ich nicht die Kritik, die heutzutage bei uns üblich ist, verstehst du?«
    Slawa erkundigte sich immer alle zwei Sätze, ob sein Gesprächspartner ihn auch verstand.
    Shora nickte bedeutsam, zum Zeichen, dass er verstanden hatte, Walja Demtschenko nickte nachdenklich, ich nickte für alle Fälle, wobei ich mich setzte, und auch Petenka und sein Freund nickten, und zwar so heftig, dass der Wodka aus ihren Gläsern schwappte.
    »Die Kritik ist eine Wissenschaft«, fuhr Slawa fort und sah Shora an. »Wie lässt sich die Hysterie des schöpferischen Menschen mit den Bedürfnissen der Gesellschaft verknüpfen und zu ihr ins Verhältnis bringen? Darum geht es, verstehst du? Die Beziehung zwischen der Mühsal des schöpferisch Tätigen und dem Alltag des Soziums aufzudecken – das ist die Aufgabe der Kritik. Verstehst du?«
    Dieser Gedanke erschien dem Sozium so einleuchtend und interessant, dass alle einander nach Stift und Papier fragten, um ihn aufzuschreiben. Als sich weder das eine noch das andere fand, riefen sie Aljonuschka herbei, erbettelten von ihr einen Bleistiftstummel und ein Blatt aus ihrem Block, und Petenka bat Slawa, seine Formulierung zu wiederholen. Slawa gab sich alle Mühe, doch er konnte es nicht. Shora Naumow konnte es auch nicht und brachte nur alles durcheinander; er fügte irgendeine Quintessenz an, und während sie herumschrien und einander ins Wort fielen, dachte ich: Wie man die Kritik auch definiert – Nutzen bringt sie keinen, ihrem Schaden aber entgeht man nicht. Die Quintessenz der Hysterie des schöpferisch Tätigen kümmert unsere Kritik kein bisschen, sie betreibt die Nivellierung der Literatur, damit es bequemer wird, in persönlichen Angelegenheiten oder Geschmacksfragen mit den Schriftstellern abzurechnen. So sieht’s aus.
    Ich nahm einen Schluck und dazu einen Bissen vom kalt gewordenen Beefsteak. Unterdessen war dieser terminologische Streit über die Kritik ganz natürlich zur Honorarpolitik übergegangen.
    Ich selber sehe das unkompliziert: je mehr Honorar, umso besser. All diese Gespräche über materiellen Anreiz sind keinen roten Heller wert! Da grölt unser Allunionsdrops immerzu, man müsse ihn nur bezahlen wie Alexej, dann würde er auch schreiben wie Lew. Er lügt, dieser Stümper. Was immer man ihm zahlen mag – er fabriziert Stuss! Fünfhundert pro Bogen könnte man ihm geben, oder siebenhundert – er würde doch nur faseln: »Gut lernen, liebe Kinder, ist gut. Schlecht lernen, ihr Rabauken, bringt nichts ein. Und Jüngeren darf man nichts Böses tun.« Aber trotzdem wird er immer wieder gedruckt, weil jedes Kinderbuchlektorat, sagen wir, dreißig Prozent der Produktion als Literatur über Schüler einplant, ob es jedoch für diese dreißig Prozent genügend gute Autoren findet, steht auf einem ganz anderen Blatt. Man geht davon aus, sie würden welche finden … Walja Demtschenko hingegen schreibt immer gut, ob er nun zweihundert oder nur hundert bekommt – er wird nicht schlechter, nur weil man ihn schlechter bezahlt, dabei räumt ihm keiner Platz für seinen kritischen Urbanismus ein, und die Rezensenten fallen wie die Hyänen über ihn her.
    Bei diesem Gedanken spürte ich eine Hand auf meiner Schulter, und als ich mich umwandte, sah ich Lidija Nikolajewna, die diensthabende Verwalterin. Barsch teilte sie mir mit, dass sie mich seit einer geschlagenen halben Stunde suche. Konstantin Iljitsch Kudinow habe angerufen und bitte mich, sofort zu ihm zu kommen. Ich weiß nicht, was dieser Simulant ihr alles vorgeschwafelt hatte, sie war jedenfalls äußerst unfreundlich zu mir. Anscheinend reimte sie sich zusammen, ich hätte einem leidenden Freund versprochen, ihm beizustehen, wäre aber hier versumpft und würde alles und jeden verraten. Wieder war ich schuld. Wieso, frage ich mich!
    Ich gab Slawa Geld, damit er für mich zahlte, und ging

Weitere Kostenlose Bücher