Gesammelte Werke 6
Paradies in einen Schweinestall oder in eine Kaserne zu verwandeln. Sie würden diese Welt mit Freuden zerstören. So kann ich mir wohl doch niemanden vorstellen, der nicht in dieser Welt leben möchte.«
»Und würde Ihren geliebten Helden eine solche Zukunft gefallen?«
»Natürlich. Dort fänden sie ihre wohlverdiente Ruhe.«
Bol-Kunaz setzte sich, dafür stand der picklige Junge wieder auf, nickte resigniert und sagte: »Genau das ist der springende Punkt. Es geht überhaupt nicht darum, ob wir das Leben kennen oder nicht, sondern darum, dass für Sie und Ihre Helden eine solche Zukunft annehmbar ist. Für uns aber würde sie einem Friedhof gleichen. Dem Ende aller Hoffnungen. Dem Untergang der Menschheit. Einer Sackgasse. Und darum sagen wir, dass wir nicht für das Wohl Ihrer ruhebedürftigen und bis über beide Ohren im Dreck steckenden Typen arbeiten wollen. Die sind für das wahre Leben verloren. Sagen Sie, was Sie wollen, Herr Banew, aber in Ihren Büchern – die ich gut finde und die durchaus interessant sind – zeigen Sie uns nichts, für das es sich lohnt, seine Kraft einzusetzen. Im Gegenteil: Sie zeigen uns, dass es das nicht gibt, zumindest nicht in Ihrer Generation. Entschuldigen Sie, aber Sie fressen sich doch gegenseitig, verausgaben sich in inneren Fehden, in Lügen und im Kampf gegen Lügen, den Sie neuer Lügen wegen führen. Wie heißt’s doch bei Ihnen: ›Wahrheit und Lüge, wie nah ihr euch seid, die Wahrheit von gestern wird zur Lüge von heut, die Lüge von gestern sich morgen schon wandelt und sich den Ruf reiner Wahrheit einhandelt …‹ So schlittern Sie von einer Lüge in die andere. Sie wollen nicht wahrhaben, dass Sie längst tot sind, dass Sie mit eigenen Händen eine Welt geschaffen haben, die zu Ihrem Grabmal geworden ist. Sie haben in Schützengräben gelegen, Sie haben sich unter Panzern in die Luft gesprengt, aber wem hat das genützt? Sie schimpfen auf die Regierung und auf die herrschende Ordnung, als wüssten Sie nicht, dass Ihre Generation keine bessere Regierung und keine bessere Ordnung verdient. Man schlägt Ihnen – entschuldigen Sie – in die Fresse, Sie aber predigen unverzagt, dass der Mensch von Natur aus gut sei, ja schlimmer noch, Sie sagen:Ein Mensch – wie stolz das klingt. Und wen bezeichnen Sie nicht alles als Menschen!«
Der picklige Redner winkte ab und setzte sich. Schweigen trat ein. Dann stand er wieder auf und erklärte: »Wenn ich ›Sie‹ sage, Herr Banew, meine ich nicht Sie persönlich.«
»Danke«, sagte Viktor wütend.
Er war gereizt: Diese picklige Rotznase hatte kein Recht, so kategorisch aufzutreten, das war unverschämt und frech. Man sollte ihm eine Backpfeife geben, ihn am Ohr packen und vor die Tür stellen. Er fühlte sich peinlich berührt – vieles von dem, was der Junge gesagt hatte, war richtig, und er dachte ebenso. Aber nun war er in eine Lage geraten, in der er sich gezwungen sah, das, was er hasste, zu verteidigen. Er war verunsichert und wusste nicht, wie er sich verhalten und was er sagen sollte, und ob es sich überhaupt lohnte, das Gespräch fortzusetzen. Er sah sich im Saal um und merkte, dass man auf seine Antwort wartete, dass Irma auf seine Antwort wartete, dass all diese rotwangigen und sommersprossigen kleinen Ungeheuer sich einig waren und der picklige Bengel nur ausgesprochen hatte, was alle dachten, und zwar völlig aufrichtig und überzeugt, und nicht etwa, weil er gerade eine verbotene Broschüre gelesen hatte. Ihm wurde klar, dass diese Kinder tatsächlich nicht die geringste Dankbarkeit oder auch nur einen Hauch von Achtung ihm, Banew, gegenüber empfanden, dafür, dass er sich freiwillig zu den Husaren gemeldet hatte, dass er in Kavallerieformation gegen die »Rheinmetall«-Panzer vorgegangen, an der Ruhr fast im Kessel krepiert war, die Posten mit einem selbstgebastelten Messer niedergestochen hatte und später, schon als Zivilist, einem Sonderbeauftragten, der ihm vorschlug, eine Denunziation zu unterschreiben, die Fresse poliert, sich ohne Arbeit mit einem Loch in der Lunge durchgeschlagen und mit Früchten gehandelt hatte, obwohl man ihm lukrative Posten anbot. Aber warum sollen sie mich eigentlich achten? Weil ich mit blankem Säbel auf Panzer losgegangen bin? Man muss schon ein Idiot sein, um eine Regierung zu dulden, die ihre Armee in einen solchen Zustand versetzt. Er erschrak bei der Vorstellung, welch ungeheure Denkleistung diese Grünschnäbel erbracht haben mussten, um zu solchen
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