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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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Schlüssen zu gelangen – Schlüssen, zu denen Erwachsene erst kamen, wenn sie keinen heilen Fleck mehr am Leib hatten, ihr Herz gebrochen, das eigene Leben und das vieler anderer ringsum verpfuscht war. Und längst nicht alle Erwachsenen zogen diese Schlüsse, sondern nur einige wenige, während die meisten bis auf den heutigen Tag glaub ten, alles sei goldrichtig gewesen, und bereit waren, dem Ruf, wenn nötig, erneut zu folgen. Waren wirklich neue Zeiten angebrochen? Beinahe angstvoll sah er sich im Saal um. Anscheinend war es der Zukunft doch gelungen, ihre Fühler bis in die Gegenwart auszustrecken, und diese Zukunft schien ihm kalt und gnadenlos; alle tatsächlichen oder auch nur eingebildeten Verdienste der Vergangenheit waren dieser Zukunft schnuppe.
    »Kinder«, sagte Viktor, »wahrscheinlich ahnt ihr gar nicht, wie grausam ihr seid – wenn auch in bester Absicht. Aber Grausamkeit bleibt Grausamkeit, sie führt zu nichts als zu neuem Leid, neuen Tränen und neuen Gemeinheiten. Bedenkt das, und bildet euch nicht ein, ihr hättet hier neue Weisheiten verkündet. Das Bestehende einzureißen und auf den Ruinen etwas Neues aufzubauen ist eine sehr alte Idee. Und sie hat noch nie zu den erwünschten Ergebnissen geführt. Gerade das, was man in der alten Welt auszurotten versucht, kann sich dem Prozess der Zerstörung, der Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit besonders gut anpassen. So macht es sich unentbehrlich und überlebt, ja, wird in der neuen Welt wieder zur herrschenden Kraft und bringt zu guter Letzt die mutigen Zerstörer der alten Welt um. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, und Grausamkeit ist nicht durch Grausamkeit zu beseitigen.Ironie und Mitleid, Kinder! Ironie und Mitleid!«
    Plötzlich erhob sich der ganze Saal, was so überraschend kam, dass Viktor der abwegige Gedanke durch den Kopf schoss, es sei ihm endlich gelungen, seine Zuhörer mitzureißen. Da aber sah er, dass ein Nässling hereinkam, eine hagere, leichte, fast körperlose Gestalt, wie ein Schatten, und dass die Kinder ihn ansahen, ja ihm regelrecht zustrebten, während er Viktor gegenüber eine Verbeugung andeutete, eine Entschuldigung murmelte und sich an den Rand, neben Irma, setzte. Die Kinder setzten sich ebenfalls, und Viktor blickte zu Irma hinüber und sah, dass sie glücklich war; sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber sie strahlte geradezu vor Freude. Und ehe er sich besann, ergriff Bol-Kunaz das Wort.
    »Ich fürchte, Sie haben uns falsch verstanden, Herr Banew«, sagte er. »Wir sind keineswegs grausam, und wenn wir es Ihrer Meinung nach sind, dann nur theoretisch. Wir haben durchaus nicht die Absicht, Ihre alte Welt zu zerstören. Wir wollen eine neue aufbauen. Wer grausam ist, sind Sie. Sie können sich den Aufbau des Neuen nicht ohne eine Zerstörung des Alten vorstellen. Wir aber können es. Wir werden Ihrer Generation sogar zum Paradies verhelfen: Esst und trinkt, so viel ihr könnt. Wir wollen aufbauen, Herr Banew, nur aufbauen, ohne etwas zu zerstören.«
    Viktor riss sich endlich von Irmas Anblick los und sammelte seine Gedanken.
    »Ja«, sagte er. »Natürlich, tut das. Ich bin ganz auf eurer Seite. Ihr habt mich heute mehr als überrascht, aber ich bin trotzdem auf eurer Seite, vielleicht auch gerade deswegen. Wenn nötig, verzichte ich sogar auf Essen und Trinken. Vergesst aber nicht, dass man die alte Welt bisher immer hat zerstören müssen, weil sie den Aufbau der Neuen behinderte, weil sie das Neue ablehnte und zu ersticken suchte …«
    »Die alte Welt von heute«, orakelte Bol-Kunaz, »wird uns nicht behindern. Sie wird uns sogar helfen.Die Geschichte hat ihren Lauf beendet, und man sollte sich nicht mehr darauf berufen.«
    »Umso besser«, erwiderte Viktor müde. »Es freut mich, dass bei euch alles so gut verläuft …«
    Prächtige Jungen und Mädchen sind das, dachte er. Merkwürdig, aber prächtig – auch wenn sie mir leidtun. Sie werden heranwachsen, miteinander ins Bett gehen und Kinder bekommen, und schon beginnt die Sorge um das tägliche Brot. Nein, dachte er verzweifelt … Aber vielleicht bleibt es ihnen auch erspart? Sie sind schließlich ganz anders als wir … Er raffte die Zettel vom Tisch, von denen sich eine ganze Menge angesammelt hatte: »Was ist ein Fakt?«, »Kann man einen Menschen, der für den Krieg arbeitet, ehrlich und gut nennen?«, »Warum trinken Sie so viel?«, »Ihre Meinung zu Spengler?« …
    »Hier sind noch ein paar Fragen«, sagte er. »Ich weiß

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