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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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Begriffe.«
    »Sie trauen sich also nicht zu, einen Dummkopf von einem klugen Menschen zu unterscheiden?« Die Frage kam aus den hinteren Reihen – von einem dunkelhäutigen, kahlgeschorenen Geschöpf mit wunderschönen, ja biblischen Augen.
    »Wieso das?«, fragte Viktor. »Natürlich traue ich mir das zu. Aber es ist nicht gewiss, dass ihr mir immer zustimmen werdet. Es gibt einen alten Aphorismus:Ein Dummkopf ist einfach ein Andersdenkender.« Gewöhnlich brachte dieser Slogan die Zuhörer zum Lachen, diesmal aber schwieg der Saal abwartend. »Oder ein Andersfühlender«, fügte Viktor hinzu.
    Er spürte, dass der Saal enttäuscht war, wusste aber nicht weiter. Er fand keinen Zugang zu diesen Kindern. In der Regel schlägt sich das Publikum bereitwillig auf die Seite des Redners, schließt sich seinem Urteil an, und allen ist klar, was ein Dummkopf ist – wobei man davon ausgeht, dass diese Spezies im Saal nicht vertreten ist. Schlimmstenfalls stimmt das Publikum nicht mit dem Redner überein und verhält sich feindselig, aber auch dann hat er leichtes Spiel: Ihm bleibt immer noch die Chance, Hohn und Spott zu vergießen, außerdem ist es für einen Einzelnen nicht schwer, mit vielen zu streiten, weil die Widersacher einander stets widersprechen und sich unter ihnen immer ein besonders dummer Schreihals findet, an dem man zur Freude der anderen sein Mütchen kühlen kann.
    »Ich verstehe nicht ganz«, sagte das hübsche Mädchen. »Sie wollen, dass wir klug sind, das heißt, dass wir Ihrem Aphorismus nach genauso denken und fühlen wie Sie. Aber ich habe alle Ihre Bücher gelesen und darin nur Verneinung gefunden. Keinerlei positives Programm. Andererseits wollen Sie, dass wir für das Wohl der Menschen arbeiten. Das heißt faktisch für das Wohl jener schmierigen, unangenehmen Typen, von denen es in Ihren Büchern nur so wimmelt. Denn was Sie schildern, ist doch die Wirklichkeit, nicht wahr?«
    Viktor schien endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren und sagte:
    »Seht ihr, unter der Arbeit für das Wohl der Menschen verstehe ich die Verwandlung von Personen in aufrichtige, angenehme Menschen. Aber dieser Wunsch hat nichts mit meinem Schaffen zu tun. In meinen Büchern versuche ich die Dinge zu zeigen, wie sie sind, ich will die Leser nicht belehren oder ihnen vorschreiben, was sie zu tun haben. Ich mache höchstens auf etwas aufmerksam, für das es sich lohnt, seine Kräfte einzusetzen, und verweise auf Missstände, gegen die man ankämpfen sollte. Ich weiß nicht, wie man die Menschen ändert, wenn ich es wüsste, wäre ich kein Modeautor, sondern ein großer Pädagoge oder ein berühmter Psychosoziologe. Es steht der schönen Literatur nicht an, die Menschen zu belehren oder sie an der Hand zu nehmen, ihnen den Weg zu weisen oder ihnen eine konkrete Methodologie vorzusetzen. Ein gutes Beispiel dafür sind unsere großen Schriftsteller. Ich verneige mich vor Lew Tolstoi – aber nur so lange, wie er ein origineller, einmalig begabter Spiegel der Wirklichkeit ist. Fängt er aber an, mir zu predigen, ich solle barfuß gehen oder die andere Wange hinhalten, so fühle ich mich elend und schwermütig. Der Schriftsteller ist ein Werkzeug, das den Zustand der Gesellschaft zeigt, und nur in ganz geringem Grade ein Werkzeug zur Veränderung der Gesellschaft. Die Geschichte lehrt uns, dass die Gesellschaft nicht durch die Literatur verändert wird, sondern durch Reformen, Maschinengewehre oder neuerdings auch durch die Wissenschaft. Die Literatur zeigt bestenfalls, auf wen man schießen muss oder was der Veränderung bedarf.«
    Viktor legte eine Pause ein, weil ihm einfiel, dass da auch noch Dostojewski und Faulkner waren. Aber während er noch überlegte, wie er zur Rolle der Literatur bei der Erforschung des Individuums übergehen könnte, kam aus dem Saal ein Einwurf: »Verzeihen Sie, aber das ist alles ziemlich trivial. Und darum geht es auch nicht. Es geht darum, dass die von Ihnen geschilderten Subjekte gar nicht verändert werden wollen. Sie sind außerdem so widerwärtig, verkommen und hoffnungslos, dass man sie gar nicht verändern möchte. Sie sind es nicht wert, verstehen Sie? Sollen sie doch langsam verfaulen – sie spielen überhaupt keine Rolle. Für wessen Wohl sollen wir Ihrer Meinung nach also arbeiten?«
    »Ach, darum geht es euch!«, sagte Viktor langsam.
    Plötzlich begriff er: Mein Gott, diese Rotznasen glauben allen Ernstes, dass ich nur über verkommene Typen schreibe, dass ich all

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