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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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Schnäuzen und Niesen. Im Hotel ist keine Menschenseele. Als ich den Pförtner nach einem Buch fragte, bot der Esel mir das Telefonbuch und ein paar alte Prospekte an: ›Besuchen Sie unsere sonnige Stadt‹. Haben Sie vielleicht etwas zu lesen?«
    »Ich glaube nicht«, antwortete Viktor.
    »Zum Teufel, Sie sind doch Schriftsteller! Ich kann ja verstehen, dass Sie von anderen nichts lesen wollen, aber in Ihren eigenen Werken werden Sie doch hin und wieder blättern. Alles ringsum säuselt: Banew, Banew … Wie heißt das Buch doch gleich?›Tod am Nachmittag‹? ›Um Mitternacht nach dem Tod‹? Ich komm nicht drauf.«
    »›Das Unglück kommt um Mitternacht‹«, half Viktor.
    »Ja, genau. Das würde ich gern mal lesen.«
    »Von mir können Sie’s nicht bekommen. Ich habe es nicht«, sagte Viktor entschieden. »Und wenn ich’s hätte, würde ich’s Ihnen nicht geben. Sie würden es mir doch bloß vollniesen. Und verstehen würden Sie’s auch nicht.«
    »Warum sollte ich’s nicht verstehen?«, erkundigte sich Pavor empört. »Es heißt, darin ginge es um Homosexuelle, was gibt es denn da nicht zu verstehen?«
    »Sie sind ja selbst …«, begann Viktor. »Trinken wir lieber ein Glas Gin. Mit Wasser?«
    Pavor nieste, knurrte, sah sich verzweifelt im Zimmer um, warf den Kopf zurück und nieste noch einmal.
    »Mir tut der Schädel weh«, klagte er. »Hier, an der Stelle … Wo waren Sie bloß? Man sagte mir, Sie hätten ein Treffen mit Lesern? Mit hiesigen Homosexuellen?«
    »Schlimmer. Ich hatte ein Treffen mit hiesigen Wunderkindern. Wissen Sie, was Akzeleration ist?«
    »Akzeleration? Hat das nicht etwas mit Frühreife zu tun? Ich habe davon gehört. Eine Zeit lang war der Begriff in aller Munde, dann aber setzte man in unserem Departement eine Kommission ein, die nachwies, dass das Ganze auf die Sorge des Herrn Präsidenten um die heranwachsende Generation von Löwen und Träumern zurückzuführen ist, und damit war alles wieder in Ordnung. Aber ich weiß, wovon Sie sprechen, ich habe hiesige Wunderkinder gesehen. Der Himmel bewahre uns vor solchen Löwen – die gehören ins Raritätenkabinett.«
    »Vielleicht gehören wir beide ins Raritätenkabinett?«, ent gegnete Viktor.
    »Vielleicht«, stimmte Pavor zu. »Aber mit Akzeleration hat das nichts zu tun; das ist nur ein biologischer beziehungsweise physiologischer Begriff: Das Gewicht der Neugeborenen steigt, dann werden sie zwei Meter lang wie die Giraffen und sind mit zwölf schon zeugungsfähig. Hier dagegen handelt es sich um ganz gewöhnliche Kinder – bloß ihre Lehrer …«
    »Was ist mit ihren Lehrern?«
    Pavor nieste.
    »Ihre Lehrer sind ungewöhnlich«, erklärte er näselnd.
    Viktor dachte an den Direktor des Gymnasiums. »Was ist denn so ungewöhnlich an den Lehrern? Dass sie vergessen, ihren Hosenstall zuzumachen?«
    »Was für einen Hosenstall?«, wunderte sich Pavor und starrte Viktor an. »Die haben überhaupt keinen Hosenstall.«
    »Und was sonst noch?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Was ist sonst noch ungewöhnlich an ihnen?«
    Pavor schnäuzte sich lange; Viktor trank seinen Gin in kleinen Schlucken und betrachtete ihn mitleidig.
    »Wie ich sehe, machen Sie sich keinen Begriff«, sagte Pavor, während er sich in den Anblick seines nassen Taschentuchs versenkte. »Wie unser Herr Präsident ganz richtig bemerkte, ist die augenfälligste Eigenschaft unserer Schriftsteller die chronische Unkenntnis des Lebens und die Losgelöstheit von den Interessen der Nation. Sie sind nun schon über eine Woche hier. Waren Sie in dieser Zeit außer in der Kneipe und im Sanatorium schon irgendwo anders? Haben Sie außer mit Quadriga, diesem Säufer, schon mit jemandem gesprochen? Weiß der Teufel, wofür Sie Ihr Geld bekommen …«
    »Jetzt hören Sie aber auf. Es reicht, dass die Zeitungen mir das andauernd unter die Nase reiben. Ein verschnupfter Kritiker und ein Lehrer ohne Hosenstall haben mir gerade noch gefehlt …«
    »Ach, das gefällt Ihnen nicht?«, meinte Pavor mit Genugtuung. »Schön, lassen wir das. Erzählen Sie mir von Ihrem Treffen mit den Wunderkindern.«
    »Was gibt es da groß zu erzählen. Das waren ganz normale Wunderkinder.«
    »Erzählen Sie.«
    »Na ja, ich war da, und sie haben mir ein paar Fragen gestellt. Interessante, ganz und gar unkindliche Fragen …« Viktor verstummte. »Also, um ehrlich zu sein, sie haben mich ganz schön genervt.«
    »Was für Fragen waren das?« Pavor sah Viktor mit großem Interesse, ja sogar

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