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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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eine Hypothese von mir. Vergessen Sie’s.«
    »Schon vergessen«, meinte Viktor traurig. »Und was ist noch ungewöhnlich an ihnen?«
    »Was noch ungewöhnlich an ihnen ist?«, wiederholte Golem die Frage. »Sie haben sicher schon bemerkt, Viktor, dass die Menschen in drei große Gruppen zerfallen. Genauer gesagt, in zwei große und eine kleine. Es gibt Menschen, die nicht ohne das Gestern auskommen: Sie schöpfen ausnahmslos aus der näheren oder ferneren Vergangenheit, leben von Traditionen, Sitten und Gebräuchen, und die Vergangenheit ist ihnen Freude und Vorbild. Nehmen wir nur den Herrn Präsidenten. Was würde er ohne unsere große Vergangenheit anfangen? Worauf könnte er sich berufen, was wäre er ohne sie? Dann gibt es Menschen, die ganz in der Gegenwart leben und weder von der Zukunft noch von der Vergangenheit etwas wissen wollen. Sie zum Beispiel. Die Vergangenheit hat Ihnen der Herr Präsident verleidet, wohin Sie auch blicken, Sie sehen ihn dort überall. Und was die Zukunft angeht, so haben Sie von ihr nicht die geringste Vorstellung, ich glaube, Sie fürchten sich sogar vor ihr. Und schließlich gibt es Menschen, die ausschließlich für die Zukunft leben. Von der Vergangenheit erwarten sie zu Recht nichts Gutes, und die Gegenwart ist Ihnen nur Baustoff, Rohmaterial, aus dem sie die Zukunft schaffen. Ja, eigentlich leben sie schon jetzt dort: auf kleinen Zukunftsinseln, die in der Gegenwart um sie herum entstanden sind.« Golem blickte seltsam lächelnd zur Decke. »Und klug sind sie«, murmelte er zärtlich. »Im Gegensatz zu den meisten Menschen sind sie teuflisch klug und von großer Begabung, Vik tor. Auch haben sie seltsame Bedürfnisse, gewöhnliche gehen ihnen völlig ab.«
    »Gewöhnliche Bedürfnisse, das wären zum Beispiel Frauen …«
    »In gewissem Sinne, ja.«
    »Schnaps, Unterhaltungen?«
    »Unbedingt.«
    »Eine schreckliche Krankheit«, fand Viktor. »Ich will nicht … Ich verstehe das nicht. Ich verstehe überhaupt nichts. Also, dass man kluge Leute hinter Stacheldraht sperrt, verstehe ich. Aber warum dürfen sie heraus, während wir nicht zu ihnen hineindürfen?«
    »Vielleicht sitzen nicht die Nässlinge hinter Stacheldraht, sondern Sie?«
    Viktor grinste.
    »Moment«, sagte er. »Das war noch nicht alles, was ich nicht verstehe. Was hat zum Beispiel Pavor damit zu tun? Dass sie mich nicht reinlassen, leuchtet mir ein – ich bin ein Außenstehender. Aber jemand muss sich doch um die Hygiene der Bettwäsche und Toiletten kümmern? Vielleicht herrschen bei Ihnen ganz unhygienische Bedingungen?«
    »Und wenn er sich gar nicht für die hygienischen Bedingungen interessiert?«
    Viktor blickte Golem verwirrt an. »Sie scherzen wohl wieder?«
    »Falsch«, antwortete Golem.
    »Also halten Sie ihn für einen Spion?«
    »Spion ist ein zu weiter Begriff«, entgegnete Golem.
    »Lassen Sie uns offen miteinander reden«, bat Viktor. »Wer hat den Stacheldraht gezogen und die Wachen aufgestellt?«
    »Ach, der Stacheldraht«, seufzte Golem. »Wie viele Leute haben sich daran schon die Hosen zerrissen, und die Soldaten haben ständig Durchfall. Wissen Sie, was das beste Mittel gegen Durchfall ist? Tabak mit Portwein, genauer gesagt, Portwein mit Tabak.«
    »Schön«, sagte Viktor. »Dann also General Pferd, verstehe … Und der junge Mann mit der Aktentasche … Ach, so ist das! Bei euch ist eine Art militärisches Labor untergebracht. Pavor aber ist kein Militär. Er untersteht einer anderen Behörde. Oder ist er vielleicht sogar ein ausländischer Agent?«
    »Gott bewahre!«, rief Golem entsetzt. »Das fehlte noch.«
    »Weiß er denn, wer der junge Mann mit der Aktentasche ist?«
    »Ich denke schon«, antwortete Golem.
    »Und der junge Mann weiß, wer Pavor ist?«
    »Ich denke nicht«, meinte Golem.
    »Haben Sie’s ihm nicht gesagt?«
    »Warum sollte ich?«
    »Und General Pferd haben Sie es auch nicht gesagt?«
    »Ich denke nicht daran.«
    »Das ist ungerecht«, erklärte Viktor. »Sie müssen es ihm sagen.«
    »Hören Sie, Viktor«, sagte Golem. »Ich bin auf dieses Thema nur eingegangen, damit Sie einen Schrecken kriegen und nicht, damit Sie in fremde Töpfe gucken. Das wäre nicht gut für Sie. Sie stehen sowieso schon auf der Abschussliste, und man kann Sie ausschalten, bevor Sie auch nur einen Mucks von sich geben.«
    »Mir einen Schrecken einzujagen ist nicht schwer«, seufzte Viktor. »Ich war schon immer schreckhaft. Trotzdem begreife ich nicht, was die alle von den Nässlingen

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