Gesammelte Werke 6
Goldhemd anziehen – ist das nicht schon eine ganze Menge? Hol’s der Teufel, mehr will ich doch gar nicht!
Warte, sagte er sich. Du musst noch das Wichtigste herausfinden: Bist du für sie oder gegen sie? Oder, drittens, pfeifst du auf alles? Aber nein, ich kann nicht auf alles pfeifen. Doch wie gern wäre ich ein Zyniker, wie leicht, einfach und bequem lebt es sich da! Man denke nur: Ein Leben lang versucht man, einen Zyniker aus mir zu machen, strengt sich an, opfert gigantische Mittel, vergeudet Pistolenkugeln, schöne Worte und Papier, schont weder Fäuste noch Menschen und schreckt vor nichts zurück – nur damit ich zum Zyniker werde. Aber es wird nichts draus … Gut, gut, aber bin ich nun dafür oder dagegen? Ich bin dagegen, weil ich keinerlei Verunglimpfungen dulde, jegliche Elite und Unduldsamkeit verabscheue, weil ich es auf den Tod nicht ausstehen kann, verprügelt und davongejagt zu werden … Und dafür bin ich, weil ich kluge, begabte Menschen mag und Dummköpfe, Hornochsen, Goldhemden und Faschisten hasse. Aber so werde ich nie zu einem Ergebnis kommen. Ich weiß einfach zu wenig über sie, und bei dem, was ich weiß und was ich gesehen habe, fällt zuerst das Negative auf – die Grausamkeit, die Menschenverachtung und auch das physisch Abstoßende. Es ergibt sich also folgendes Bild: Auf ihrer Seite stehen die Menschen, die ich liebe: Diana, Golem, Irma und auch Bol-Kunaz sowie der picklige Nihilist … Und wer ist gegen sie? Der Bürgermeister, das alte Schwein, dieser Faschist und Demagoge, genauso wie der Polizeichef, dieser käufliche Bandit, und Roßschäper Nant, dann die dumme Lola, die Bande der Goldhemden und Pavor. Für sie sind aber auch der hochgewachsene Experte und ein gewisser General Pferd – Generäle aber kann ich nicht ausstehen. Und gegen sie sind Teddy und viele andere seinesgleichen. Tja, die Stimmenmehrheit ergibt hier noch keine Entscheidung. Wie bei den freien, demokratischen Wahlen ist die Mehrheit immer für den Schweinehund …
Gegen zwei Uhr kam Diana, Diana-die-Fröhliche-und-Ge wöhnliche, in einem straff zusammengeschnürten weißen Kittel, geschminkt und gekämmt.
»Was macht die Arbeit?«, fragte sie.
»Ich brenne.Ich verbrenne, um anderen zu leuchten.«
»Ja, es raucht schon. Mach wenigstens das Fenster auf. Willst du etwas essen?«
»Ja, verdammt noch mal!«, rief Viktor. Ihm fiel ein, dass er noch gar nicht gefrühstückt hatte.
»Ja, verdammt, dann lass uns endlich gehn!«
Sie gingen hinunter in den Speisesaal. An langen Tischen löffelten die völlig erschöpften »Brüder im Geiste« sittsam und stumm ihr Diätsüppchen. Der dicke Trainer lief in einem engen dunkelblauen Pullover hinter ihnen auf und ab, klopfte ihnen auf die Schultern, zauste ihr Haar und blickte forschend auf ihre Teller.
»Ich mache dich jetzt mit jemandem bekannt«, erklärte Diana. »Er wird mit uns essen.«
»Wer denn?«, fragte Viktor unwillig. Er mochte keine Kon versation beim Essen.
»Mein Mann«, antwortete Diana. »Mein ehemaliger.«
»Aha«, murmelte Viktor. »Na ja, sehr angenehm.«
Einfälle sind das, dachte er mürrisch. Wozu soll das gut sein? Und er blickte Diana flehend an. Sie aber führte ihn schon geradewegs zum Personaltisch in der Ecke. Als sie näher traten, erhob sich dort ein Mann im dunklen Anzug, er hatte ein gelbliches Gesicht, eine Hakennase und trug schwarze Handschuhe.
Er reichte Viktor nicht die Hand, sondern verbeugte sich nur und sagte leise: »Guten Tag, es freut mich, Sie zu hier zu treffen.«
»Banew«, stellte sich Viktor mit jener falschen Herzlichkeit vor, die ihn beim Anblick von Ehemännern immer überkam.
»Eigentlich kennen wir uns ja schon«, erklärte der Mann. »Ich bin Sursmansor.«
»Ach ja!«, rief Viktor. »Natürlich! Ich muss schon sagen, mein Gedächtnis …« Er verstummte. »Warten Sie«, sagte er. »Welcher Sursmansor?«
»Pavel Sursmansor. Sie haben sicher schon etwas von mir gelesen und sind neulich im Restaurant ziemlich energisch für mich eingetreten. Außerdem sind wir uns auch schon anderswo begegnet – ebenfalls unter unglücklichen Umständen … Aber setzen wir uns doch.«
Viktor setzte sich. Also gut, dachte er. Meinetwegen. So sehen sie also ohne Binde aus. Wer hätte das gedacht? Und wo ist seine »Brille«? Sursmansor war also Dianas Mann, zudem der hakennasige Tänzer, der einen Tänzer spielt, der wiederum einen Tänzer spielt – in Wirklichkeit ist er aber ein Nässling oder vier Nässlinge
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