Gesammelte Werke 6
zu.
Sursmansor sagte: »Überhaupt wünschen wir uns, dass Sie sich um nichts Sorgen zu machen brauchen. Sie haben nichts zu befürchten. Sicher ahnen Sie schon, dass unsere Organisation einen hohen Stellenwert hat und gewisse Privilegien genießt. Wir leisten viel, und darum können wir uns einiges erlauben. Wir dürfen mit dem Klima experimentieren, eigenen Nachwuchs heranziehen und anderes mehr. Aber bitte behalten Sie das für sich. Einige Herrschaften bilden sich ein, dass wir für sie arbeiten, und wir wollen sie in diesem Glauben lassen.« Er verstummte. »Schreiben Sie, worüber Sie wollen und wie Sie wollen, Banew, lassen Sie die Hunde bellen. Wenn Sie Schwierigkeiten mit Verlagen oder Geldprobleme haben, unterstützen wir Sie. Notfalls ver legen wir Sie selbst. Für uns selbst, natürlich. Ihre Neunaugen sind Ihnen also sicher.«
Viktor leerte sein Glas und schüttelte den Kopf.
»Verstehe«, meinte er. »Wieder ein Versuch, mich zu kaufen.«
»Wenn Sie so wollen«, sagte Sursmansor. »Die Hauptsache: Ihnen ist klar, dass es ein Leserkontingent gibt, das zwar noch nicht groß, aber an Ihrer Arbeit sehr interessiert ist. Wir brauchen Sie, Banew, und zwar so, wie Sie sind. Wir brauchen keinen Banew, der unser Anhänger ist und unser Lied singt, zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber, auf wessen Seite Sie stehen. Bleiben Sie sich selbst treu, wie es sich für jede schöpferische Persönlichkeit gehört. Das ist alles, was wir von Ihnen wollen.«
»Sehr verlockende Bedingungen«, gab Viktor zu. »Eine Carte blanche und marinierte Neunaugen in Aussicht. In Aussicht und in Senfsoße.Und wo wär die Witwe, die sagte ›Nein‹? Wer könnte da widerstehen? Hören Sie, Sursmansor, haben Sie schon einmal Ihre Seele und Ihre Feder verkaufen müssen?«
»Ja, natürlich«, antwortete Sursmansor. »Und Sie wissen, wie wenig man dafür bekommt. Aber das war vor tausend Jahren und auf einem anderen Planeten.« Er verstummte. »Aber Sie irren sich, Banew«, fuhr er fort. »Wir wollen Sie nicht kaufen. Wir wollen nur, dass Sie sich treu bleiben, wir haben Angst, dass es Ihnen schlecht ergehen könnte. Wie vielen ist das schon passiert. Moralische Werte sind nicht käuflich, Banew – man kann sie vernichten, aber nicht kaufen. Ein moralischer Wert ist immer nur für eine Seite wichtig, ihn zu stehlen oder zu kaufen wäre sinnlos. Der Herr Präsident bildet sich ein, den Maler Quadriga gekauft zu haben. Das ist ein Irrtum. Er hat den Pfuscher Quadriga gekauft, der Maler ist ihm zwischen den Fingern zerronnen und gestorben. Und wir wollen nicht, dass der Schriftsteller Banew jemandem – nicht einmal uns – zwischen den Fingern zerrinnt und stirbt. Wir brauchen Künstler und keine Propagandisten.«
Er stand auf, und Viktor erhob sich ebenfalls. Er war verlegen und stolz zugleich, fühlte Unglaube und auch Erniedrigung, Enttäuschung, Verantwortung und noch etwas anderes, worüber er sich jedoch erst klarwerden musste.
»Es war sehr angenehm, mich mit Ihnen zu unterhalten«, sagte Sursmansor. »Ich wünsche Ihnen Erfolg bei Ihrer Arbeit.«
»Auf Wiedersehen«, verabschiedete sich Viktor. Sursmansor deutete eine Verbeugung an, legte dann den Kopf in den Nacken und entfernte sich mit großen, festen Schritten. Viktor sah ihm nach.
»Genau darum liebe ich dich«, erklärte Diana.
Viktor ließ sich auf seinen Stuhl fallen und griff nach der Flasche.
»Warum?«, fragte er zerstreut.
»Weil sie dich brauchen. Weil solche Leute einen Weiberhelden, Säufer, Liederjan und Mistkerl wie dich brauchen.«
Sie beugte sich über den Tisch und küsste ihn auf die Wange. Das war wieder eine andere Diana: Diana-die-Verliebte, mit großen Augen, wie Maria Magdalena, Diana-die-zu-ihm-Aufschauende.
»Und wenn schon«, murmelte Viktor. »Intellektuelle … Neue Kalifen für eine Stunde.«
Aber das waren nur Worte. In Wirklichkeit war alles viel komplizierter.
Am nächsten Tag kehrte Viktor nach dem Frühstück ins Hotel zurück. Beim Abschied hatte Diana ihm ein Körbchen aus Birkenrinde in die Hand gedrückt – gefüllt mit Erdbeeren. Man hatte Roßschäper aus den hauptstädtischen Orangerien etliche Kilo davon geschickt, und Diana hatte gemeint, dass Roßschäper trotz seiner abnormen Fresssucht eine solche Menge Erdbeeren niemals würde essen können.
Der mürrische Pförtner öffnete die Tür, und Viktor bot ihm von den Erdbeeren an; der Pförtner nahm sich ein paar, steckte sie in den Mund, kaute sie wie Brot und
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