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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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ich nicht. Kaum. Vielleicht die Kinder. Aber wenn sie’s verstehen, dann auf ihre Art. Auf ihre ganz besondere Art.«
    Viktor nahm das Banjo und griff in die Saiten, aber die Finger gehorchten ihm nicht. Er legte das Banjo auf den Tisch. »Golem«, begann er. »Sie sind doch Kommunist. Was, zum Teufel, machen Sie im Leprosorium? Warum halten Sie keine Kundgebungen ab? Warum steigen Sie nicht auf die Barrikaden? Moskau wird Sie nicht gerade loben.«
    »Ich bin Architekt«, antwortete Golem ruhig.
    »Was sind Sie für ein Architekt, wenn Sie nichts begreifen? Was führen Sie mich an der Nase herum? Seit einer Stunde plage ich mich mit Ihnen ab, und was habe ich aus Ihnen herausgekriegt? Sie trinken meinen Gin und verbreiten Nebel. Schämen Sie sich, Golem. Und Sie lügen, dass sich die Balken biegen.«
    »Na, so schlimm ist’s auch wieder nicht. Ganz ohne das geht es allerdings nicht. Die eitrigen Geschwüre sind erfunden.«
    »Geben Sie mir Ihr Glas«, bat Viktor. »Sie haben genug.« Er goss sich aus der Flasche ein und trank. »Der Teufel soll aus Ihnen klug werden. Warum machen Sie das? Spielen Sie mit mir Katz und Maus? Wenn Sie mir etwas erzählen können, dann tun Sie’s, wenn es sich aber um ein Geheimnis handelt, hätten Sie gar nicht erst anfangen sollen.«
    »Dafür gibt es eine einfache Erklärung«, sagte Golem ruhig und streckte die Beine von sich. »Ich bin ein Prophet, Sie selbst haben mich so genannt. Und Propheten geht es immer so: Man weiß viel und möchte erzählen, sich mit einem angenehmen Gesprächspartner austauschen und ein bisschen angeben. Aber kaum fängt man mit dem Erzählen an, hat man plötzlich so ein dummes Gefühl und macht es wie der Herrgott, als man ihn nach dem Stein fragte.«
    »Wie Sie wollen«, meinte Viktor. »Ich fahre ins Leprosorium und kriege auch ohne Sie alles raus. Aber geben Sie mir wenigstens einen Tipp.«
    Mit Interesse verfolgte er, wie ihm Hände und Füße langsam einschliefen, und dachte, es sei gut, die Sache mit einem letzten Glas abzurunden, sich dann aufs Ohr zu legen, auszuschlafen und anschließend zu Diana zu fahren. Das wäre gar nicht übel. Überhaupt war alles gar nicht so übel. Er malte sich aus, wie er Diana das Lied vom U-Boot vorsingen würde, und fühlte sich großartig … Er ergriff das nasse Ruder, das im Heck lag, und stieß sich vom Ufer ab. Das Boot schaukelte in den Wellen. Es regnete nicht, die Sonne ging unter, er fuhr der Abendröte entgegen, und die Ruder glitten über die Wellenkämme. Läge ich doch wie ein U-Boot am Grunde … Und wie gern er sich hingelegt hätte, genierte sich aber, denn dicht an seinem Ohr dröhnte Golems müde Stimme: »… sie sind jung und haben alles noch vor sich; das Einzige, was wir noch vor uns haben, sind sie. Natürlich wird der Mensch eines Tages das Universum beherrschen, aber dieser Mensch wird kein rotbäckiger Muskelprotz sein. Er wird auch seine Probleme lösen können, aber dazu muss er sich erst verändern. Die Natur betrügt uns nicht, sie löst ihre Versprechen ein, allerdings nicht so, wie wir es uns gedacht haben, und oft auch nicht so, wie wir es gerne hätten.«
    … Sursmansor, der im Bug des Bootes saß, wandte den Kopf, und man sah, dass er kein Gesicht hatte. Er hielt sein Gesicht in den Händen, und dieses Gesicht sah Viktor an – ein gutes, ehrliches Gesicht, aber Viktor wurde bei dem Anblick dennoch übel, und Golems Stimme dröhnte und dröhnte …
    »Gehen Sie schlafen«, murmelte Viktor und streckte sich im Boot aus. Die Spanten drückten ihm in die Seiten, und es war sehr unbequem in dem Boot, aber er war so schrecklich müde. »Gehen Sie schlafen, Golem.«
    Als er aufwachte, bemerkte er, dass er in einem Bett lag. Es war dunkel, der Regen trommelte ans Fenster. Mühsam hob er den Arm und tastete nach der Nachttischlampe, aber seine Hand stieß gegen eine kalte, glatte Wand. Komisch, wunderte er sich. Wo ist Diana? Oder bin ich nicht im Sanatorium? Er versuchte, sich über die Lippen zu lecken, aber seine geschwollene raue Zunge gehorchte ihm nicht. Er hätte gern geraucht, aber das durfte er jetzt auf keinen Fall. Ach, eigentlich habe ich Durst. »Diana!«, rief er. Nein, ich bin nicht im Sanatorium, denn dort ist die Nachttischlampe rechts, hier aber ist rechts die Wand. Ah, das ist ja mein Hotelzimmer!, freute er sich. Aber wie komme ich hierher? Er lag in Unterwäsche unter der Bettdecke. Ich kann mich gar nicht erinnern, mich ausgezogen zu haben, dachte er. Das muss

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