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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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quoll die Materie wie Seifenschaum durch seine Finger. Er lachte wieder, gab seinem Spiegelbild in der Fensterscheibe einen Nasenstüber und strich zärtlich über die Pusteln auf seiner geschwollenen Haut. »Darauf muss ich was trinken!«, sagte er laut. In der Flasche war noch ein Rest Gin, den Golem nicht mehr geschafft hatte, der arme alte Pseudoprophet. Und das nicht, weil seine Prophezeiungen falsch gewesen wären, sondern weil er nichts als eine sprechende Marionette war. Ich werde dich immer gern haben, Golem, dachte Viktor, du bist ein guter Mensch, ein kluger Mensch, aber eben nur ein Mensch. Er goss den Rest aus der Flasche ins Glas, kippte den Gin mit gewohnter Geste hinunter und stürzte, noch ehe er ihn geschluckt hatte, ins Bad. Ihm war schlecht. Verflucht, dachte er. Das schmeckt ja scheußlich. Im Spiegel erblickte er sein Gesicht – es war zerdrückt und aufgedunsen, und seine Augen waren unnatürlich groß und schwarz. Da hast du’s, dachte er, da hast du’s. Viktor Banew, du alter Säufer und Prahlhans. Von jetzt an wirst du nichts mehr trinken und keine Lieder mehr grölen, wirst nicht mehr lauthals über Dummheiten lachen und mit hölzerner Zunge fröhlichen Unsinn schwatzen, dich nicht mehr prügeln, nicht mehr toben und randalieren, wirst nie mehr Passanten erschrecken und Polizisten beschimpfen, mit dem Herrn Präsidenten streiten oder mit einer lärmenden Schar junger Bewunderer durch die Nachtbars ziehen. Er kehrte in sein Bett zurück, rauchen wollte er nicht. Er wollte gar nichts mehr, ihm wurde von allem übel. Traurigkeit befiel ihn. Das Gefühl von Verlust, das anfangs nur leicht und kaum spürbar gewesen war – wie die Berührung mit einer Spinnwebe –, nahm zu. Ihm war, als schöben sich Reihen finsteren Stacheldrahts zwischen ihn und die Welt, die er so liebte. Für alles muss man bezahlen, dachte er, man bekommt nichts geschenkt, und je mehr man bekommt, umso mehr muss man zahlen. Für das neue Leben muss man das alte hergeben. Wieder kratzte er sich wütend die Arme blutig und bemerkte es nicht einmal.
    Diana kam, ohne anzuklopfen, herein, warf den Regen mantel ab, stellte sich lächelnd und verführerisch vor ihn hin und hob die Arme, um ihr Haar zu ordnen.
    »Mir ist kalt«, sagte sie. »Darf ich zu dir mich aufwärmen kommen?«
    »Ja«, murmelte er, ohne zu überlegen. Sie schaltete das Licht aus, und jetzt sah er sie nicht mehr, er hörte nur, wie sich der Schlüssel im Schlüsselloch drehte, wie Knöpfe aufsprangen, Kleider raschelten und Schuhe auf den Fußboden fielen, dann war sie neben ihm, warm, seidig und angenehm duftend, er aber dachte daran, dass nun alles aus war: ewiger Regen, düstere Gebäude mit löchrigen Dächern, fremde, unbekannte Menschen in nasser schwarzer Kleidung, mit nassen Binden vor dem Gesicht … Sie legen die Binden ab, sie legen die Handschuhe ab, sie legen die Gesichter ab und packen sie in besondere Schränke, und ihre Arme sind mit eitrigen Geschwüren bedeckt – Elend, Schrecken, Einsamkeit … Diana schmiegte sich an ihn, und er umarmte sie aus Gewohnheit. Sie war wie immer, er aber hatte sich verändert, er konnte nichts mehr tun, weil er nichts mehr brauchte.
    »Was hast du, Lieber?«, fragte Diana zärtlich. »Zu viel getrunken?«
    Vorsichtig löste er ihre Hände von seinem Hals. Nun packte ihn endgültig das Grauen. »Warte«, bat er. »Warte.«
    Er stand auf, ertastete den Schalter, machte Licht und konnte sich ein paar Sekunden lang nicht entschließen, sich zu ihr umzudrehen, tat es aber schließlich doch. Nein, sie war wunderschön. Wahrscheinlich war sie sogar noch schöner als sonst, aber das war sie ja immer. Heute war sie jedoch besonders schön. Ihr Anblick weckte in ihm ein Gefühl der Bewunderung gegenüber dem Menschen, Entzücken über die menschliche Vollkommenheit – mehr aber nicht. Sie sah ihn an, hob erstaunt die Augenbrauen, schien zu erschrecken und setzte sich mit einem Ruck auf. Dann sah er, wie sich ihre Lippen bewegten. Sie sagte etwas, aber er konnte sie nicht hören.
    »Warte«, wiederholte er. »Das kann nicht sein. Warte.«
    Er zog sich in fieberhafter Eile an und murmelte immer wieder: »Warte, warte.« Aber er dachte schon gar nicht mehr an sie – es ging um etwas anderes. Er stürmte aus dem Zimmer und warf sich gegen Golems verschlossene Tür, wusste einen Moment nicht weiter, riss sich dann aber los und lief hinunter ins Restaurant. Ich will nicht, murmelte er, ich will das nicht, ich habe

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