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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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Verzweiflung und Ohnmacht: Unter Kanonendonner sprangen alle Fenster und Türen auf, und ein kräftiger Durchzug wehte alles, was ich geschrieben hatte, aus der Blauen Mappe davon, hinaus in den von blutrotem Feuerschein erhellten Abgrund, sechzehn Stockwerke tief; die Blätter fielen durcheinander, trudelten dahin und leuchteten bisweilen auf, und nichts war mehr in der Blauen Mappe geblieben. Aber ich hatte noch die Möglichkeit hinunterzulaufen, sie einzufangen, aufzusammeln, zu retten – und wenn es nur ein Teil gewesen wäre. Doch meine Füße hafteten wie festgewachsen am Boden, und tief in meinen Körper hatten sich Haken gebohrt, die mich auf dem Balkon festhielten. »Katja!«, schrie ich und weinte verzweifelt. Dann erwachte ich und stellte fest, dass meine Augen trocken und die Füße verkrampft waren und meine Seite unerträglich schmerzte.
    Eine Zeit lag ich still, sah zu den hellen Quadraten an der Decke, bewegte geduldig die Füße, um den Krampf loszuwerden, und meine Gedanken flossen wieder einmal träge und ungeordnet dahin. So dachte ich, dass ich anscheinend sehr krank war und Katjas Zureden folgen und zur Beobachtung ins Krankenhaus gehen müsse. Aber sofort würde alles langsamer werden, zum Stillstand kommen, und meine Blaue Mappe bliebe für lange geschlossen. Und dann dachte ich noch, dass es gut wäre, sie mit Durchschlag abzutippen und ein Exemplar bei Rita zu hinterlegen. Obwohl, sie war auch keine achtzehn mehr, hatte etwas mit den Nieren oder der Leber … Ich hatte einfach keine Ahnung, ja nicht die geringste Idee, wie, wo und bei wem ich das Manuskript lassen konnte, sodass es bewahrt würde und niemand darin herumschnüffelte.
    Gut möglich, dass mein heutiger Traum eine Vorahnung war: Ich würde die Sache nicht zu Ende bringen, weil ein heftiger Windstoß den Inhalt meiner Blauen Mappe auseinandertreiben würde, in Abflussgräben und Müllgruben hinein. Nicht ein einziges Blatt würde mir bleiben, um es zur Bestimmung der HATL in die Maschine einzugeben.
    Und als ich mich an die HATL erinnerte (es passte so schön zu meinem ironischen Selbstmitleid), kam mir plötzlich wie von selbst diese Vermutung … knapp und klar wie eine Formel war sie: Nicht den Wert eines Werkes bestimmen sie dort, nein, sie prophezeien sein Schicksal!
    Das also hatte er mir die ganze Zeit beibringen wollen, mein unfroher neuer Bekannter! Die höchstwahrscheinliche Anzahl der Textleser beinhaltet ja doch alles: Auflagenhöhe, Qualität, Popularität, das Talent des Autors und übrigens auch die Begabung des Lesers. Du kannst etwas Geniales schreiben, aber der Computer bescheinigt dir einen Reinfall: weil deine geniale Sache liegen bleibt; bestenfalls deine Frau, deine nahen Freunde und ein gut bekannter Lektor werden sie lesen – Feierabend! »Das begreifst du doch, alter Junge … Versteh mich richtig, alter Junge …«
    Eine kluge, raffinierte Maschine! Und ich Dummkopf hatte meine Rezensionen hingeschleppt, meinen Abfall, den Papierkorb. Ich setzte mich auf und schlang die Arme um die Knie. Das also hatte er gemeint. Es ging ihm um das Wesentliche von mir, das Echte. Damit ich ein für alle Mal begriff, in welcher Welt ich lebte und ob ich mich weiterhin abstrampeln sollte – oder ob es nicht besser wäre aufzuhören mit dieser Arbeit, so wie viele andere vor mir, und stattdessen gutes Geld zu verdienen.
    Mich fröstelte bei diesem Gedanken, ich bekam eine Gänsehaut und zog die Decke über die Schultern. Ich hätte schrecklich gern geraucht.
    Eine furchtbare, ja geradezu beängstigende Maschine. Wozu brauchen sie so etwas? Gewiss, die Zukunft zu kennen ist ein jahrhundertealter Traum des Menschen – so wie der fliegende Teppich oder die Siebenmeilenstiefel. Zaren, Kaiser und Könige haben viel Geld für solches Wissen versprochen. Aber genau besehen, doch nur unter einer Bedingung: Diese Zukunft musste angenehm sein. Denn wem nützt es, eine unangenehme Zukunft zu kennen? Da komme ich beispielsweise mit meiner Blauen Mappe in die Bannaja, und die Maschine sagt mir mit menschlicher Stimme: »Deine Sache steht schlecht, Felix Alexandrowitsch. Drei Leser wird dein Buch haben, finde dich damit ab!«
    Ich schlug die Decke zurück und angelte mit den Füßen nach den Hausschuhen.
    Nicht in die Bannaja zu gehen war aber auch unmöglich! Ich musste es wissen … Doch warum? Warum musste ich wissen, dass all meine Arbeit, mein Leben für die Katz gewesen war? Andererseits, wieso unbedingt für die Katz? Träume

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