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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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Gabeln und Teelöffel, riss mich dann zusammen und schrubbte noch Wanne und Toilette. Zuletzt rollte ich den Staubsauger hinter dem Vorhang hervor und saugte überall den Fußboden.
    Während ich mich mit alldem befasste, klingelte zweimal das Telefon. Einmal war es Lenja Fips, den ich nach seiner Standard-Begrüßungsfrage »Wie geht’s?« gar nicht erst zu Wort kommen ließ, beim zweiten Mal hauchte wieder der Schüchterne schweigend in den Hörer, und ich teilte ihm aufgekratzt mit, dass ich sein Hilfsangebot zwar schätze, doch keine Hilfe benötige, da ich all meine Angelegenheiten bereits zu Ende gebracht habe und den Planeten und diese Zeit für immer verlasse.
    Ich weiß nicht, was der Schüchterne davon hielt, doch das Telefon klingelte von nun an nicht mehr.
    Ich zog meinen besten Anzug an, an dem das Abzeichen meines bisher einzigen Preises prangte, und verließ die Wohnung um Viertel vor zwei – in der Absicht, vorher noch bei der Aufnahmekommission vorbeizusehen und die mir zugeteilte Portion Lektüre abzuholen. Herr, erbarme dich meiner, und errette mich! Der Fahrstuhl funktionierte nicht. Das heißt, es funktionierte keiner, weder der große noch der kleine.
    Und sogleich malte mir meine Fantasie ein homerisches Bild: Ich stellte mir vor, wie Rita und ich nach einem guten Essen und einem angenehmen Spaziergang durch das verschneite Moskau zu Fuß bis in die fünfzehnte Etage steigen, wie mein Herz rast und ungleichmäßig schlägt, wie ich mich auf jedem Treppenabsatz für ein Weilchen auf dem für solche Fälle vorgesehenen Bänkchen ausruhe und mir heimlich Nitroglyzerin in den Mund schiebe, während Rita, meine wunderschöne Herzensdame, meine Geliebte und sicherlich letzte Frau, zartfühlend über Nichtigkeiten plaudert, mich erniedrigend mitleidig von oben herab ansieht und von Zeit zu Zeit sagt: »Hetz dich nicht, wir haben ja Zeit.«
    Ich verjagte diese schmachvolle Vorstellung und nahm die Treppe. Und wen traf ich da zwischen dem sechsten und siebten Stock? Wer sprang mir ungestüm entgegen, immer zwei Stufen auf einmal nehmend und sich nur leicht mit der linken Hand auf das Geländer stützend? Wer war der rotwangige Kerl, der Gershwin vor sich hin pfiff, während er in der rechten Hand eine schwere Tasche mit Lebensmitteln hielt, die nicht einmal für ihn zu sein schienen, wie ich aus verschiedenen Anhaltspunkten schloss?
    Natürlich! Es war Kostja Kudinow, der Dichter, dieses grünlich blasse arme Würstchen, das man vor Kurzem, als es in den letzten Zügen gelegen, in die Birjulewoer Klinik gebracht hatte, um ihm den Magen zu spülen.
    »He, alter Knabe!«, rief er lebensfroh, kaum, dass er mich erkannt hatte. »Gut, dass wir uns treffen! Hast du einen Moment Zeit? Ich habe dich in unsere Brigade eingetragen. Wir fliegen an die BAM. Zwanzig Tage, fünfzehn Lesungen, hin und zurück per Charterflugzeug. Wie findest du das, he?«
    Wirklich, heute war mein Glückstag! Es mag seltsam erscheinen, doch obwohl ich ein älterer, verschlossener Mensch bin, der gewöhnlich neue Bekanntschaften meidet, ein Konservativer und Stubenhocker, liebe ich öffentliche Auftritte.
    Es gefällt mir, vor einem vollen Saal zu stehen und in tausend Gesichter gleichzeitig zu blicken; sie alle spiegeln Interesse – ob gieriges, skeptisches, höhnisches oder erstauntes – in jedem Falle aber Interesse. Dann schockiere ich die Leute mit unseren Betriebsgeheimnissen, weihe sie in die Gepflogenheiten der redaktionellen und verlegerischen Küche ein und zerstöre unbarmherzig ihre Illusionen hinsichtlich solch eingeschliffener Stereotype wie Inspiration, Erleuchtung oder Gottesfunken.
    Mir gefällt es, auf Zettelchen nach vorn gereichte Fragen zu beantworten, mich über Dummköpfe lustig zu machen – auf die feine Art natürlich, damit kein Lump, falls ein solcher im Saal sitzt, mir etwas am Zeug flicken kann. Ich balanciere gern auf des Messers Schneide und laviere zwischen dem, was ich wirklich denke, und dem, was ich laut öffentlicher Meinung zu denken habe …
    Und wenn mein Auftritt vorbei ist, stehe ich mit Vorliebe unten im Saal, umringt von echten Bewunderern und Kennern, signiere ihre zerlesenen Exemplare meiner »Modernen Märchen« und führe Gespräche auf Augenhöhe – ohne all die Dummköpfe kann ich nun herzhaft, ja verbissen streiten und habe dabei stets das wunderschöne Gefühl, vor groben Ausfällen und Taktlosigkeiten geschützt zu sein; auch ein falscher Schritt, den ich tue, ist nicht schlimm,

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