Gesammelte Werke 6
nicht einmal seine Aufgeblasenheit bemerkt, der wer weiß was von sich, seiner Schreiberei und von der Welt, die er damit beglückt, denkt – nur so jemand kann diese Möglichkeit so tief vor sich selbst verstecken, dass er nicht einmal etwas von ihr ahnt …
Und wirklich, wie hätte ich, Felix Alexandrowitsch Sorokin, Schöpfer des unvergesslichen Romans »Die Genossen Offiziere«, wie hätte ich auf den Gedanken kommen können, dass dieser verfluchte Rechner in der Bannaja weder eine siebenstellige Anerkennung meiner, Sorokins, Verdienste für die Weltkultur anzeigen könnte noch eine einsame stolze Drei, die davon zeugte, dass die Weltkultur nicht reif ist, den Inhalt der Blauen Mappe in ihren Schoß aufzunehmen. Vielmehr konnte der Computer auch solide, runde neunzigtausend ausweisen, was bedeutete, die Blaue Mappe würde wohlwollend angenommen und käme glücklich in den Plan; nach dem Verlassen der Druckerei aber würde sie in den Regalen der Kreisbibliotheken neben ähnlicher Makulatur verstauben, ohne Spuren zu hinterlassen – eine Erinnerung, begraben, doch nicht im ehrenvollen Sarkophag meines Schreibtischs, sondern in wellig gewordenen Einbänden aus minderwertiger Pappe.
»… Verzeihen Sie mir«, schloss er mit Mitgefühl in der Stimme. »Aber ich musste auch diese Möglichkeit erwähnen, selbst wenn ich Sie nicht hätte ein wenig bestrafen wollen.«
Ich nickte schweigend. Zum wer weiß wievielten Mal. Wahr haftig: Der Dämon des Himmels brach meinen Stolz.
»Was aber Ihre Drohung, die Blaue Mappe zu verbrennen und zu vergessen, anbelangt«, fuhr Michail Afanassjewitsch fort, »so muss ich bekennen, dass ich diese Drohung nur aus einer gewissen Heftigkeit heraus kindisch genannt habe. In Wirklichkeit nehme ich sie ernst, sogar sehr ernst. Jedoch, Felix Alexandrowitsch: Die gesamte jahrtausendealte Geschichte der Literatur kennt keinen Fall, in dem ein Autor mit eigenen Händen sein Lieblingskind verbrannt hätte. Ja – es wurde manches verbrannt, doch nur das, was Abneigung und Gereiztheit, auch Scham in ihnen selbst hervorrief. Sie, Felix Alexandrowitsch, lieben Ihre Blaue Mappe, Sie leben darin, leben für sie … Wie würden Sie es fertigbringen, so etwas zu verbrennen, nur weil Sie seine Zukunft nicht kennen?«
Er hatte natürlich recht. Das vom Verbrennen und Vergessen war dummes Geschwätz. Wie sollte ich sie auch verbrennen – ich hatte doch eine Dampfheizung … Ich kicherte nervös: Vielleicht wird ja gerade deshalb so viel Schund bei uns gedruckt, weil es in den Städten keine Öfen mehr gibt?
Michail Afanassjewitsch lachte auch, wurde aber sogleich wieder ernst.
»Verstehen Sie mich richtig, Felix Alexandrowitsch«, fuhr er fort. »Sie sind zu mir gekommen, weil Sie einen Rat und Mitgefühl suchten. Zu mir, dem – wie Ihnen scheint – einzigen Menschen, der Ihnen einen Rat geben und sein aufrichtiges Mitgefühl ausdrücken kann. Und nun wollen Sie nicht einsehen, dass Sie nichts von beidem bekommen werden oder bekommen können: weder Rat noch Mitgefühl. Ich sehe vor mir nur einen verschwitzten, krankhaft erröteten Mann mit schlaffem Mund, dessen Koronargefäße sich gefährlich verengt haben, einen Mann, der die längste Zeit gelebt hat und vom Leben gebeutelt wurde, der nicht sonderlich klug ist und ganz und gar nicht weise, der belastet ist von erbärmlichen Erinnerungen und sorgsam unterdrückter Angst vor seinem physischen Verschwinden. Dieser Mann ruft weder Mitleid hervor noch den Wunsch, ihm etwas zu raten.
Wie käme ich auch dazu? Verstehen Sie, Felix Alexandrowitsch: Mich gehen weder Ihre inneren Kämpfe noch Ihre seelische Verwirrung oder Ihre, entschuldigen Sie, Selbstgefälligkeit etwas an. Das Einzige, was mich interessiert, ist Ihre Blaue Mappe und dass Ihr Roman geschrieben und vollendet wird. Wie Sie das schaffen und um welchen Preis, ist mir gleich – ich bin weder Literaturwissenschaftler noch Ihr Biograf. Freilich, die Menschen haben die Eigenart, für ihre Mühen und Qualen Belohnungen zu erwarten, und im Großen und Ganzen ist das auch gerecht, aber es gibt eine Ausnahme: die Qualen des Schöpfertums. Für sie bekommt man keinen Lohn und kann auch keinen bekommen. Denn die Qual selbst schließt ihn ein. Deshalb, Felix Alexandrowitsch,erwarten Sie für sich weder Licht noch Ruhe. Das eine wie das andere wird Ihnen versagt bleiben.« Stille um mich her. Als wäre ich plötzlich taub. Und in dieser absoluten Stille kam lautlos die Bibliothekarin in Begleitung
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