Gesammelte Werke 6
klaffen, die riesigen Gasbehälter sind verbeult, den Hof durchzieht ein vielverzweigtes System von Gräben, durch die sich die Arbeiter in kurzen Sätzen bewegen, die Loren fahren schneller als früher, die Fahrer der Motorkarren ducken sich hinter Blechplatten, und wenn der Wind die giftigen Dämpfe vertreibt, erscheint an der Ziegelmauer der Fabrikverwaltung eine frische weiße Aufschrift:»Achtung! Bei Beschuss ist diese Seite besonders gefährdet« …
Viktor las die letzte Seite, steckte sich eine Zigarette an und blickte auf den in die Maschine gespannten Bogen. Dort standen nur anderthalb Zeilen: »Als der Journalist B. aus der Redaktion kam, wollte er sich ein Taxi nehmen, überlegte es sich aber anders und stieg in die U-Bahn.« Viktor wusste genau, was anschließend mit dem Journalisten B. geschah, aber er konnte nicht mehr schreiben. Es war Viertel vor drei. Viktor stand auf und öffnete das Fenster. Draußen war es stockfinster, nur der Regen glitzerte. Er rauchte die Zigarette zu Ende, warf die Kippe in die feuchte Nacht hinaus und rief den Portier an. Eine unbekannte Stimme meldete sich. Viktor fragte, welcher Tag heute sei. Nach kurzem Zögern teilte ihm die unbekannte Stimme mit, es sei die Nacht von Freitag auf Samstag. Viktor blinzelte, legte auf und riss entschlossen den Bogen aus der Maschine. Es reichte. Zwei Tage ununterbrochen an der Schreibmaschine, ohne jemanden zu sehen oder zu sprechen, mit abgestelltem Telefon, ohne auf ein Klopfen an der Tür zu reagieren, ohne Diana, ohne Alkohol und, wie es schien, sogar ohne Essen. Nur von Zeit zu Zeit war er ins Bett gekrochen, um zu träumen, wie die Königin der Wanzen neben dem Türrahmen saß und die schwarzen Fühler bewegte … Es reicht, dachte er. Der Journalist B. wartet auf dem Bahnsteig, bis der Zug mit der Aufschrift »Nicht einsteigen« kommt, und läuft uns nicht davon. Wir essen jetzt erst einmal was, das haben wir uns, weiß Gott, verdient. Viktor räumte die Maschine weg, stopfte das Manuskript in den Schreibtisch und suchte die leere Bar ab. Dann kaute er auf einem harten Brötchen mit Marmelade herum und machte sich bittere Vorwürfe, dass er am Tag zuvor eine halbe Flasche Brandy in den Ausguss gekippt hatte, um nicht in Versuchung zu geraten. Er freute sich, dass er den Zyklus »Hinter den Kulissen der Großstadt« endlich zu schreiben begonnen hatte, und der Anfang war gar nicht schlecht, ja sogar sehr gut, vollkommen zufriedenstellend. Allerdings würde er wohl alles noch einmal umschreiben müssen. Und es ist merkwürdig, dachte er, dass es mit diesen Erzählungen gerade jetzt so gut klappt. Warum nicht vor ein oder zwei Jahren, als mir die Idee dazu kam? Jetzt hätte ich eher über den Nichtsnutz schreiben müssen, der sich einbildet, Superman zu sein. Das wollte ich ja eigentlich auch. Übrigens passiert mir das nicht zum ersten Mal. Ja, wenn ich’s recht bedenke, ist es sogar immer so. Darum kann man auch nicht auf Bestellung schreiben. Man fängt mit einem Roman über die Jugendjahre des Herrn Präsidenten an und landet bei einer unbewohnten Insel mit merkwürdigen Affen, die nicht von Bananen leben, sondern von den Gedanken Schiffbrüchiger … Na ja, hier ist der Zusammenhang leicht zu erkennen – und es gibt anscheinend immer einen, man muss nur tief genug graben. Aber wer hat schon Lust zu graben, wenn er nach zweitägiger Enthaltsamkeit einen Schluck trinken möchte? Ich gehe jetzt runter, beim Portier findet sich immer ein guter Schluck. Das heißt, wenn ich mit dem Brötchen fertig bin, gehe ich runter …
Viktor fuhr plötzlich zusammen und hörte auf zu kauen – aus dem schwarzen Nichts hinter dem Fenster drang durch das Plätschern des Regens hindurch ein Geräusch, als ob jemand mit einem Hammer auf ein Brett schlüge … Das sind Schüsse, dachte Viktor erstaunt. Eine Weile lauschte er angespannt.
… Schön, aber was wollte uns der Autor mit seinen Werken sagen?, überlegte er weiter. Wozu musste er die schwere Nachkriegszeit bemühen, in der es noch Wanzen und leichte Mädchen gab? Vielleicht wollte uns der Autor zeigen, wie heroisch und standhaft die Hauptstadt unter Führung seiner Exzellenz … Nein, daraus wird nichts, Herr Banew. Das lassen wir nicht zu! Alle Welt weiß, dass auf persönliche Anweisung des Herrn Präsidenten den Besitzern chemischer Betriebe, die die Luft verunreinigt haben, Geldstrafen auferlegt wurden, und zwar allein in der Hauptstadt in Höhe von …, dass dank der
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