Gesammelte Werke 6
Abschluss einer ebenso fruchtlosen wie bizarren und unheimlichen Woche, in deren Verlauf der, der mein Schicksal lenkte, einen ganzen Fächer an Möglichkeiten vor mir ausgebreitet hatte, von denen ich aber nicht eine hatte realisieren können oder wollen. Alles war zerronnen wie Wasser im Sand und hatte nichts hinterlassen außer den Sudelschaum spießbürgerlicher Erleichterung – und nun diese letzte Möglichkeit. Sie war die unwahrscheinlichste von allen. Mochte sie mir auch nichts als mein gewohntes Butterbrot versprechen – versäumte ich sie, opferte sie einer Soljanka mit Oliven oder gar meiner duftenden Rita, so würde mir nichts mehr bleiben, und es hätte künftig auch keinen Sinn mehr, die Blaue Mappe aufzuschlagen.
Wie im Traum vernahm ich ein mürrisches, hochmütiges Meckern: »Entweder bin ich ein bedeutender russischer Schrift steller, oder ich esse diese Nudeln …«
Und wie im Traum erblickte ich, als ich mich umdrehte, über dem dampfenden Teller ein langes Gesicht mit griesgrämig herabhängender Unterlippe, das gleich darauf hinter dem gebeugten Rücken eines Kellners verschwand.
Und nun, ganz wach, sah ich Rita in der Tür zur Eingangshalle stehen. Sie trug das sandfarbene Kostüm, das ich besonders mochte, und das Glänzen ihres Ohrrings traf mich ins Auge, als sie langsam den Kopf wandte und nach mir Ausschau hielt. Aber ich schlug feige die Augen nieder und lief leicht gebückt auf dem Teppichläufer davon, hin zu dem Ausgang, hinter dem Michail Afanassjewitsch verschwunden war. Schmerzlich wurde mir bewusst, dass ich schon wieder etwas tat, für das ich mich würde entschuldigen und rechtfertigen müssen, aber ich schob den Gedanken von mir, weil es mich jetzt nicht betraf. Jetzt erwartete mich etwas ungleich Wichtigeres.
Im Parteikomitee war Michail Afanassjewitsch nicht. Dort hämmerte Tatotschka auf ihrer Maschine herum; neben ihr im Sessel fläzte sich, den runden, feisten Bauch vom Jackett befreit, ein rosiger Satyr mit roter Nase und roten Lippen, der ihr ausdrucksvoll, als stünde er auf einem Podium, nach einer Vorlage diktierte: »… auch gegen den Abstraktionismus in der Literatur müssen und werden wir kämpfen, unversöhnlich, wie gegen den Abstraktionismus in der Malerei und Bildhauerei, in Architektur …«
»Und Viehzucht!«, rief ich laut, um ihn zu stoppen.
Er unterbrach sich, wie geblendet von der neuen Wendung des Themas, und ich fragte Tatotschka schnell: »War nicht eben noch Michail Afanassjewitsch hier?«
»Nein«, antwortete sie, ohne ihr Gehämmer zu unterbrechen. »Er kommt heute nicht.« Dann wandte sie sich streng dem Satyr zu: »… in Architektur und Viehzucht … Weiter!«
Ich fand Michail Afanassjewitsch im Zeitschriftensaal, wo er mutterseelenallein saß und aufmerksam die letzte Ausgabe des Quartalsinspektors las – eben jene mit Walja Demtschenkos Erzählung, die man zerschnitten, verstümmelt und dreifach amputiert hatte und die dennoch lebte, herausfordernd, unbesiegbar.
Ich trat näher und blieb stehen, wusste nicht, was ich sagen oder wie ich anfangen sollte. Plötzlich wurde mir bewusst, wie absurd das alles war, und fühlte mich peinlich berührt. Ich war schon bereit, wieder zu gehen, da ließ er die Zeitschrift sinken, blickte mich fragend an und lächelte sofort.
»Ah! Felix Alexandrowitsch«, sagte er mit seiner leisen, ruhigen Stimme. »Guten Tag.Setzen Sie sich bitte, hier ist gerade ein leerer Stuhl.«
»Ist das C apek?«, fragte ich und setzte mich gehorsam.
»Nein, Hasek. Womit kann ich Ihnen dienen, Felix Alexandrowitsch?«
»Ich sehe, Sie sind ein Kenner der Literatur …«
»Mehr noch. Ich liebe die Literatur. Gute Literatur.«
»Und wenn Ihnen Zweifel kommen, ob sie gut ist, stecken Sie sie in Ihre Maschine?«
»Gott bewahre, Felix Alexandrowitsch! Das wäre nicht meine Art. Übrigens bin ich selbst schuld: Ich habe mich falsch ausgedrückt, verzeihen Sie. Natürlich gibt es keine gute oder schlechte Literatur. Es gibt nur gute Literatur, der Rest ist Makulatur.«
»So ist es!«, pflichtete ich ihm bei, und geriet immer tiefer in Verzweiflung. »›Es gibt nur einen Frischegrad: den ersten, und der ist zugleich der letzte. Wenn der Stör vom zweiten Frischegrad war, heißt es, er war verfault.‹«
Er schlug die Zeitschrift zu, ließ jedoch einen Finger als Lesezeichen darin und sah mich schweigend an. Ich sah ihn ebenfalls schweigend an, betroffen von der Ähnlichkeit mit dem Porträt in dem braunen Bändchen und
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