Gesammelte Werke 6

bei euch …? Und sein Ziel erreicht nur d-der, d-der das Wörtchen ›Angst‹ nicht kennt.«
    »So ist es«, sagte Junta. »Außerdem halte ich nichts von Wohltätigkeit.«
    »Er hält nichts v-von Wohltätigkeit! Und w-wer hat mir den Odichmantjewitsch abgeluchst? Einen e-erstklassigen Laboranten! Das k-kostet dich m-mindestens eine Flasche Champagner! Oder lieber k-keinen Champagner!Amontillado! Hast du noch was v-von deinen Vorräten aus Toledo?«
    »Wir werden erwartet, Theodor«, mahnte Junta.
    »Ja, richtig. Ich m-muss noch m-meine Krawatte und m-meine Filzstiefel suchen, ein Taxi k-kriegen wir sowieso nicht … Wir g-gehen dann, Sascha, langweilen Sie sich nicht.«
    »In der Silvesternacht langweilt sich der Diensthabende nie«, bemerkte Junta leise. »Schon gar nicht, wenn’s ein Neuer ist.«
    Sie gingen zur Tür. Junta ließ Fjodor Simeonowitsch den Vortritt, schielte kurz zu mir herüber und malte mit dem Finger einen Salomostern an die Wand. Der Stern flammte auf und verglomm wie die Spur eines Elektronenstrahls auf dem Oszillografenschirm. Ich spuckte mir abergläubisch drei mal über die linke Schulter.
    Cristóbal Joséwitsch Junta, der die Abteilung für den Sinn des Lebens leitete, war ein bemerkenswerter, aber offenbar völlig herzloser Mann. In jungen Jahren hatte er sich lange Zeit als Großinquisitor betätigt und seine damaligen Gepflogenheiten bis zum heutigen Tag beibehalten, was ihm, wie man sich erzählte, in der Zeit des Kampfes gegen die Fünfte Kolonne in Spanien sehr zugute gekommen war. Seine unglaublichen Experimente nahm er meist an sich selbst oder an seinen Mitarbeitern vor, und noch zu meiner Zeit gab es deswegen auf der Gewerkschaftsvollversammlung böses Blut. Er forschte nach dem Sinn des Lebens, war aber, obwohl er einige interessante Ergebnisse vorzuweisen hatte, noch nicht weit damit gekommen. Theoretisch hatte er zum Beispiel nachgewiesen, dass der Tod kein unabdingbares Attribut des Lebens ist. Auch diese Entdeckung führte zu empörten Stimmen – im philosophischen Seminar. Er ver wehrte so gut wie allen den Zutritt zu seinem Arbeitszimmer, und im Institut wurde gemunkelt, dass es dort Interessantes zu sehen gäbe … Wie man sich erzählte, stand in einer Ecke seines Zimmers ein kunstvoll ausgestopfter Bekannter Juntas, ein Standartenführer der SS in Paradeuniform mit Monokel, Offiziersdolch, Eisernem Kreuz, Eichenlaub und dem übrigen Klimbim. Junta war ein ausgezeichneter Taxidermist gewesen, der Standartenführer, wie Junta zu berichten wusste, ebenfalls. Doch Junta war schneller gewesen; er legte größten Wert darauf, immer und in allem der Schnellste zu sein. Nicht selten war ihm auch ein gewisser Skeptizismus eigen. In einem seiner Labors hing ein riesiges Plakat mit der Aufschrift: »Haben wir uns nötig?« Ein außer gewöhnlicher Mensch.
    Punkt drei Uhr, der Arbeitsgesetzgebung gemäß, gab der Doktor der Wissenschaften Amwrossi Ambrosjewitsch Wybe gallo seine Schlüssel ab. Er steckte in lederbeschlagenen Filz stiefeln und einem stinkenden Kutscherpelz, aus dessen hoch geschlagenem Kragen ein schmutziger grauer Bart ragte. Wybegallo trug einen Topfhaarschnitt, sodass noch keiner seine Ohren zu Gesicht bekommen hatte.
    »Tjä …«, sagte er beim Näherkommen. »Möglicherweise schlüpft bei mir heute einer. Also: in meinem Labor. Tjä, man müsste mal nach ihm sehen. Ich habe ihm ein paar Vorräte dagelassen, tjä … so an die fünf Brotlaibe, na, und auch gedämpfte Kleie und zwei Eimer Magermilch. Mal sehen, tjä, wie er das frisst, also: sich draufstürzt. Tjä, mon cher, sieh mal, läut an, mein Guter.«
    Er packte einen Bund Scheunenschlüssel auf den Tisch, riss angestrengt den Mund auf und starrte mich an. Seine Augen waren durchsichtig, und in seinem Bart steckten Hirse körner.
    »Anläuten?«, fragte ich. »Und wo?«
    Ich mochte den Mann nicht. Er war ein Zyniker und obendrein ein Dummkopf. Die Arbeit, die er für dreihundertfünfzig Rubel im Monat machte, hätte man mit Fug und Recht als Eugenik bezeichnen können, aber niemand tat das – keiner wollte sich mit ihm anlegen. Wybegallo behauptete, alles Unglück – tjä – rühre von der Unzufriedenheit her, also brauche man einen Menschen nur mit den nötigen Dingen zu versorgen – mit Brot und gedämpfter Kleie –, und schon verwandele er sich in einen Engel. Für diese simple Idee rührte er überall die Werbetrommel und jonglierte dabei ungeniert mit den Schriften der Klassiker, entriss