Gesammelte Werke 6

Knalleffekten, die er zur Belustigung der Menge einsetzte, war da schon schwerer zu begreifen; die Menge besaß gar nicht die Möglichkeit (und auch nicht den Wunsch), zum Wesen der Phänomene vorzudringen. Abgesehen von zwei oder drei Mitarbeitern der Abteilung für Absolutes Wissen, die, obwohl erschöpft von ihren Dienstreisen, für ihr Leben gern Interviews über den Stand der Dinge im Unendlichen gaben, legte an unserem Institut niemand den geringsten Wert auf den Kontakt zur Presse: Es galt sogar als anrüchig, und dafür gab es gute Gründe.
    Die Sache ist folgende: Selbst die interessantesten und spitzfindigsten wissenschaftlichen Resultate erscheinen Uneingeweihten einstweilen absurd, beunruhigend und unbegreiflich. Menschen, die der Wissenschaft fernstehen, erwarten von ihr Wunder über Wunder, sind aber nicht imstande, ein echtes Wunder der Wissenschaft von einem Taschenspielertrick oder einem intellektuellen Salto mortale zu unterscheiden. Die Wissenschaft von der Hexerei und den Zauberkünsten bildet hier keine Ausnahme. Im Fernsehstudio eine Konferenz berühmter Geister zu veranstalten oder mit einem Blick in eine halbmeterdicke Betonmauer ein Loch zu bohren, ist einfach (und völlig überflüssig); das verehrte Publikum aber, das keine Vorstellung davon hat, wie eng in der Wissenschaft die Begriffe des Märchens und der Wirklichkeit miteinander verknüpft (und zum Teil verworren) sind, ist begeistert. Versuchen Sie doch einmal, den tieferen Zusammenhang zwischen der bohrenden Eigenschaft des Blicks und den philologischen Merkmalen des Wortes »Beton« auszuloten oder die harmlose Frage zu lösen, die unter dem Begriff »Großes Auers’sches Problem« bekannt geworden ist! Roman Oira-Oira wandte hier seine Theorie von der fantastischen Gemeinschaft an und begründete so einen völlig neuen Zweig der mathematischen Magie. Doch so gut wie niemand kennt den Namen Oira-Oira – während Professor Wybegallo in aller Munde ist. (»Was, Sie arbeiten im FIFHUZ? Was macht denn Wybegallo? Hat er mal wieder etwas Neues erfunden?«) Dieses Missverhältnis rührt daher, dass auf der ganzen Welt höchstens zwei- bis dreihundert Menschen in der Lage sind, die Ideen Roman Oira-Oiras zu begreifen. Und unter diesen befinden sich ziemlich viele Korrespondierende Akademiemitglieder – ein Zeitungskorrespondent hingegen (leider) nicht. Wybegallos klassisches Werk »Die Technologie der Produktion selbstanziehender Schuhe«, das von der ersten bis zur letzten Seite aus unlauterem Geschwätz besteht, machte seinerzeit dank der Bemühungen B. Zuchts Furore. (Dass diese selbstanziehenden Schuhe teurer waren als ein Motorrad und weder Nässe noch Schmutz vertrugen, stellte sich erst später heraus.)
    Es war spät geworden. Mich überfiel auf einmal große Müdigkeit, und ich schlief unversehens ein. Im Traum sah ich allerlei Teufelszeug: vielbeinige Riesenmücken mit Wybe gallobärten, sprechende Eimer mit Magermilch und einen Bottich auf kurzen Beinen, der munter die Treppe hinunterhüpfte. Hin und wieder lugte ein kecker Hausgeist in einen meiner Träume hinein, nahm beim Anblick dieser Gräuel aber erschrocken Reißaus. Ich wachte durch einen stechenden Schmerz auf und erblickte dicht vor mir eine mürrisch dreinschauende bärtige Mücke, die ihren Rüssel, dick wie ein Kugelschreiber, in meine Wade bohrte.
    »Schwirr ab!«, brüllte ich und gab ihr mit der Faust eins auf ihr Glotzauge.
    Die Mücke knurrte beleidigt und machte einen Satz zur Seite. Sie war groß wie ein Hund und rötlich gescheckt. Wahrscheinlich hatte ich im Schlaf unbewusst eine Materialisierungsformel gesprochen und das mürrische Geschöpf aus dem Nichts hierher beordert. Leider wollte es mir beim besten Willen nicht gelingen, es dorthin zurückzuschicken. Da bewaffnete ich mich mit den »Gleichungen der mathematischen Magie«, öffnete die Fensterklappe und jagte die Mücke in den Frost hinaus. Augenblicklich erfasste sie der Schneesturm und trug sie fort ins Dunkel. So entstehen ungesunde Sensationen, dachte ich.
    Es war sechs Uhr morgens. Ich horchte. Im Institut herrschte Stille. Entweder arbeiteten alle fleißig, oder sie waren schon nach Hause gegangen. Eigentlich hätte ich noch einen Rund gang machen müssen, konnte mich aber nicht dazu entschlie ßen. Dafür hatte ich Hunger; seit meiner letzten Mahlzeit waren achtzehn Stunden vergangen. Ich beschloss also, an meiner Stelle ein Double loszuschicken.
    Als Magier war ich damals noch eine Null; es