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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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fehlte mir an Erfahrung. Wäre jemand in der Nähe gewesen, hätte ich die Magie nie angewandt, um mich nicht zu blamieren. Aber da ich allein war, wollte ich es wagen und bei der Gelegenheit gleich ein wenig üben. Ich suchte aus den »Gleichungen der mathematischen Magie« die allgemeine Formel heraus, setzte meine Parameter ein, nahm alle nötigen Manipulationen vor und sprach die notwendigen altchaldäischen Worte. Probieren geht über Studieren. Und zum ersten Mal im Leben gelang mir ein ordentliches Double: An ihm war alles dran, und es sah mir sogar ein bisschen ähnlich – nur sein linkes Auge ging nicht auf, und an jeder Hand saßen sechs Finger. Ich erklärte ihm, was es zu tun hatte, es nickte, machte einen Kratzfuß und wankte hinaus. Wir haben uns nicht wiedergesehen. Vielleicht hat es mein Double versehentlich zum Drachen Gorynytsch in den Bunker verschla gen, vielleicht hat es auch eine endlose Reise auf dem Glücks rad angetreten – wer weiß. Ich vergaß es, kaum dass es gegangen war, und beschloss, Frühstück zu machen.
    Ich bin ein anspruchsloser Mensch, und so genügte mir ein Brot mit Jagdwurst und eine Tasse Kaffee, schwarz. Ich weiß nicht wie, aber anstatt Kaffee und Wurstbrot lag auf einmal eine dick mit Fett bestrichene Jagdweste auf meinem Tisch. Nachdem ich mich von einem ersten Anfall großer Verwunderung erholt hatte, besah ich mir die Jagdweste genauer. Bei dem Fett handelte es sich weder um Butter noch um Pflanzenfett. Ich hätte die Weste sofort vernichten und noch einmal von vorn anfangen sollen, aber in einem Anflug von Größenwahn hielt ich mich für einen göttlichen Schöpfer und beschritt den Weg konsequenter Transformation. Neben der Jagdweste tauchte nun eine Flasche mit einer schwarzen Flüssigkeit auf, und die Weste bekam nach einer kurzen Verzögerung leicht verkohlte Ränder. Hastig präzisierte ich meine Vorstellungen, wobei ich mich insbesondere auf eine Tasse Kaffee und ein Stück Wurst vom Rind konzentrierte. Die Flasche verwandelte sich tatsächlich in eine Tasse, die Flüssigkeit darin aber blieb unverändert. Dafür wurde der eine Ärmel der Jagdweste dünn und lang, färbte sich rötlich und fing an zu zucken. Mir brach der kalte Schweiß aus, als ich sah, dass es sich um einen Kuhschwanz handelte. Ich stand vom Sessel auf und verzog mich in eine Ecke. Weiter als bis zum Schwanz gedieh die Sache zwar nicht, aber auch so war der Anblick für mich schon unheimlich genug. Beim nächsten Versuch trieb der Schwanz Ähren. Ich riss mich zusammen, kniff die Augen zu und stellte mir so konkret wie möglich ein Stück Roggenbrot vor, das man von einem Brotlaib abschneidet, mit Butter bestreicht (die Butterdose aus Kristallglas) und mit Wurstscheiben belegt. Es musste ja keine Jagdwurst sein, gewöhnliche Poltawaer Wurst tat es auch. Mit dem Kaffee beschloss ich lieber noch zu warten. Als ich vorsichtig die Augen öffnete, lag auf der Jagdweste ein großes Stück aus Bergkristall mit einem dunklen Einschluss. Ich hob das Kristall auf und mit ihm zusammen die Jagdweste, die aus unerfindlichen Gründen mit ihm verwachsen war. Mitten in dem Kristall erblickte ich das ersehnte Wurstbrot, das überaus echt aussah. Ich stöhnte und versuchte den Kristall gedanklich zu zertrümmern. Er überzog sich allerdings mit einem so dichten Netz von Rissen, dass das Wurstbrot kaum noch zu sehen war. »Jetzt hast du Trottel Tausende von belegten Broten gegessen und bist nicht einmal imstande, dir auch nur ein halbwegs klares Bild davon zu machen«, rügte ich mich. »Aber jetzt bleib ruhig, du bist alleine hier, und niemand sieht dich. Das ist weder eine Beleg- noch eine Kontrollarbeit, und schon gar keine Prüfung. Versuch’s noch einmal.« Ich versuchte es. Doch das hätte ich besser nicht tun sollen, denn meine Fantasie ging mit mir durch, und in meinem Hirn blitzten die unwahrscheinlichsten Assoziationen auf. Dementsprechend füllte sich das Vorzimmer mit immer sonderbareren Dingen. Viele von ihnen stammten, wie mir schien, aus meinem Unterbewusstsein, dem undurchdringlichen Dickicht meines Erbgedächtnisses oder den längst vom Hochschulstudium verdrängten Urängsten. Sie hatten Gliedmaßen und bewegten sich ununterbrochen, gaben widerliche Töne von sich, benahmen sich unanständig, aggressiv und prügelten auf einander ein. Gehetzt blickte ich um mich. Das Ganze erinnerte mich lebhaft an alte Stiche zum Thema »Die Versuchung des Heiligen Antonius«. Besonders unangenehm war eine

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