Gesammelte Werke 6
Maschinen.
Aus einer Seitenstraße schossen zwei ebenfalls spinnenartige metallene Maschinen auf mich zu, die etwas kleiner waren und nicht ganz so grimmig wirkten. Ehe ich mich’s versah, hatte die eine mir die Schuhe geputzt, während die andere mein Taschentuch wusch und bügelte. Ein großer weißer Kesselwagen rollte auf Raupenketten auf mich zu, blinkte mit zahllosen Lämpchen und besprühte mich mit Parfüm. Ich wollte schon weiterfahren, als ein lauter Knall ertönte und eine riesige rostige Rakete vom Himmel fiel. Gleich darauf hieß es in der Menge:
»Das ist der ›Stern der Träume‹!«
»Ja, ja, das ist er!«
»Natürlich ist er das! Er ist vor zweihundertachtzehn Jahren gestartet und von allen längst vergessen. Die Besatzung aber ist dank der einsteinschen Zeitverkürzung bei Flügen mit annähernder Lichtgeschwindigkeit nur um zwei Jahre gealtert!«
»Dank wessen? Ach, Einstein … Ja, ja, ich erinnere mich. Das haben wir in der zweiten Klasse gelernt.«
Aus der rostigen Rakete kletterte mühsam ein einäugiger Mann, dem der linke Arm und das rechte Bein fehlten.
»Ist das hier die Erde?«, fragte er gereizt.
»Jawohl, das ist die Erde!«, rief man ihm zu. Auf den Gesichtern lag ein Lächeln.
»Gott sei Dank«, sagte der Mann erleichtert, und alle sahen sich verblüfft an. Entweder verstanden sie ihn nicht, oder sie wollten ihn nicht verstehen.
Der versehrte Raumpilot warf sich in Pose und begann eine Rede, in der er die Menschheit dazu aufrief, samt und sonders zu dem Planeten Chosch-Ni-Chosch im Sternsystem Eoella in der Kleinen Magellan’schen Wolke zu fliegen, um dort lebende Verstandesbrüder zu befreien, die unter der Knute eines wildgewordenen kybernetischen Diktators stöhn ten (er sagte tatsächlich: stöhnten). Alle weiteren Worte gingen im Düsengeheul unter. Auf dem Platz landeten noch zwei rostige Raketen. Mit Reif bedeckte Frauen eilten aus dem Pantheon-Refrigerator, und auf dem Platz entstand Gedränge. Mir wurde klar, dass ich in die Epoche der Heimkehr geraten war, und trat hastig aufs Pedal.
Die Stadt verschwand und tauchte lange nicht wieder auf. Was blieb, war die Mauer, hinter der mit bedrückender Eintönigkeit Brände loderten und ferne Blitze zuckten. Es war ein sonderbarer Anblick – diese völlige Leere und im Westen einzig eine Mauer. Dann aber wurde es endlich hell, und ich hielt an.
Vor mir breitete sich ein blühendes, menschenleeres Land aus. Das Korn wogte. Wohlgenährte Herden grasten auf den Wiesen, lesende Hirten waren jedoch nicht zu sehen.Am Horizont blinkten die bekannten durchsichtigen Kuppeln, Viadukte und Spiralstraßen. Im Westen ragte nach wie vor die Mauer auf.
Jemand berührte mein Knie, und ich fuhr zusammen. Neben mir stand ein kleiner Junge mit tiefliegenden, funkelnden Augen.
»Was willst du, Kleiner?«, fragte ich.
»Ist dein Apparat kaputt?«, erkundigte er sich mit singender Stimme.
»Zu Erwachsenen sagt man ›Sie‹«, belehrte ich ihn.
Erst war er völlig perplex, dann aber hellte sich sein Gesicht auf. »Ach ja, ich erinnere mich: Das war in der Epoche der erzwungenen Höflichkeit so üblich … Sollte das ›Du‹ deinem emotionalen Rhythmus nicht entsprechen, bin ich gerne bereit, jede andere, mit deinem Rhythmus harmonierende Anrede zu verwenden.«
Ich war perplex. Er hockte sich vor die Zeitmaschine, griff bald hierhin, bald dorthin und sagte etwas, wovon ich kein Wort verstand. Es war ein reizender Junge, sauber, gesund und gepflegt, aber, wie mir schien, ein bisschen altklug.
Hinter der Mauer krachte es ohrenbetäubend, und wir drehten uns um. Über der Mauerkrone tauchte eine unheim liche, schuppige Pranke mit acht Zehen auf, klammerte sich an der Mauer fest, ließ wieder los und verschwand.
»Hör mal, Kleiner«, sagte ich. »Was ist das für eine Mauer?«
Ernst und verlegen sah er mich an.
»Das ist die Eiserne Mauer«, antwortete er. »Leider ist mir die Etymologie der beiden Wörter unbekannt, aber ich weiß, dass sie zwei Welten trennt: die der Humanistischen Fantasie und die der Zukunftsangst.« Er verstummte und fügte nach einer Weile hinzu: »Die Etymologie des Wortes ›Angst‹ ist mir auch unbekannt.«
»Interessant«, sagte ich. »Kann man sich die Welt der Angst einmal ansehen?«
»Ja, natürlich. Dort ist die Verbindungskammer. Da kannst du deine Neugier befriedigen.«
Die Verbindungskammer glich einem flachen, durch eine Panzertür verschlossenen Torbogen. Ich trat näher und griff zaghaft nach
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