Gesammelte Werke 6
gab doch auch ganz interessante Stellen. Diese Maschine da zum Beispiel. Erinnern Sie sich? Auf der Basis trigener Quatoren … Ich muss schon sagen, das ist doch was …«
»Nun«, begann Pupkow-Sadni. »Wir stecken anscheinend schon mitten in der Diskussion. Dabei hat vielleicht noch jemand eine Frage an den Vortragenden?«
Der pedantische Bakkalaureus erkundigte sich sofort nach der mehrstufigen temporalen Schaltung (man stelle sich vor: Es interessierte ihn der Volumenausdehnungskoeffizient), und ich verließ unauffällig den Raum.
Merkwürdige Empfindungen beschlichen mich. Alles rings um wirkte so materiell, stofflich und greifbar. Als ein paar Kollegen an mir vorbeigingen, hörte ich ihre Schuhe knarzen und spürte den Luftzug, den ihre Bewegungen verursachten. Alle waren wortkarg, arbeiteten und hingen ihren Gedanken nach; niemand schwatzte ins Blaue hinein, trug Gedichte vor oder hielt pathetische Reden. Jeder von uns wusste zwischen einem Labor, der Tribüne einer Gewerkschaftsversammlung und einer feierlichen Kundgebung zu unterscheiden. Und als mir Wybegallo in seinen mit Leder beschlagenen Filzstiefeln entgegengeschlurft kam, empfand ich sogar so etwas wie Sympathie für ihn, weil er den Bart wieder einmal voller Weizenbrei hatte, weil er mit einem langen, dünnen Nagel in seinen Zähnen stocherte und wie immer grußlos an mir vorbeiging. Er war ein lebendiger, un verwüstlicher und unübersehbarer Flegel, er gestikulierte nicht und gab sich nicht akademisch.
Ich schaute bei Roman vorbei, weil ich jemandem von meinem Abenteuer erzählen musste. Das Kinn in die Hand gestützt, lehnte er über dem Labortisch und betrachtete einen kleinen grünen Papagei, der in einer Petrischale lag. Der kleine Papagei war tot, über seinen Augen lag ein weißlicher Schleier.
»Was ist mit ihm?«, erkundigte ich mich.
»Ich weiß nicht«, sagte Roman. »Wie du siehst, ist er krepiert.«
»Wie kommst du zu einem Papagei?«
»Das frage ich mich auch«, erwiderte Roman.
»Vielleicht ist er ja künstlich«, mutmaßte ich.
»Nein, nein, der ist echt.«
»Wahrscheinlich hat Vitka sich mal wieder aufs Umoplekt gesetzt.«
Wir beugten uns über den Papagei und besahen ihn uns genauer. An seiner schwarzen, eingezogenen Kralle steckte ein Ring.
»›Photon‹«, las Roman. »Und ein paar Zahlen stehen darauf. ›Neunzehn null fünf dreiundsiebzig‹.«
»Aha«, vernahmen wir hinter uns eine bekannte Stimme.
Wir drehten uns um und nahmen Haltung an.
»Guten Tag«, sagte W-Janus und trat an den Tisch. Er kam aus seinem Labor, das durch eine Tür mit Romans Arbeitszimmer verbunden war, und wirkte irgendwie müde und traurig.
»Guten Tag, Janus Poluektowitsch«, sagten wir so ehrerbietig wie möglich im Chor.
Janus erblickte den Papagei und sagte noch einmal: »Aha.«
Er nahm den toten Vogel behutsam und zärtlich in die Hand, streichelte seinen hellroten Schopf und murmelte leise: »Was hast du denn, Photontschik?«
Er wollte noch etwas sagen, verstummte aber, als sein Blick auf uns fiel. Wir standen reglos nebeneinander, sahen zu, wie er mit greisenhaft langsamen Schritten in die hinterste Laborecke ging, die Tür des elektrischen Ofens öffnete und den kleinen grünen Körper hineinschob.
»Roman Petrowitsch«, sagte er. »Seien Sie so gut, und schalten Sie den Ofen ein.«
Roman kam seiner Bitte nach. Er sah aus, als hätte er soeben eine Erleuchtung gehabt. W-Janus blieb eine Weile mit gesenktem Kopf neben dem Ofen stehen, kratzte dann sorgsam die noch heiße Asche heraus, machte die Fensterklappe auf und streute die Asche in den Wind. Eine Zeit lang sah er aus dem Fenster, wandte sich dann zu Roman um und bat ihn, in einer halben Stunde in sein Labor zu kommen. Dann ging er.
»Merkwürdig«, meinte Roman und sah ihm nach.
»Was ist daran merkwürdig?«, wollte ich wissen.
»Alles«, antwortete Roman.
Auch mir erschien das alles sonderbar – die Sache mit dem toten grünen Papagei, den Janus Poluektowitsch offensichtlich gut kannte, das ungewöhnliche Zeremoniell der Feuerbestattung und das Ausstreuen der Asche –, aber ich konnte es nicht erwarten, Roman von meiner Reise in die beschriebene Zukunft zu erzählen. Roman hörte mir zerstreut zu, sah mich mit abwesendem Blick an, nickte an unpassender Stelle und sagte plötzlich: »Sprich ruhig weiter, ich höre dir zu.« Dann kroch er unter den Tisch, holte den Papierkorb hervor und wühlte in Knüllpapier und Tonbandschnipseln.
Als ich fertig war, fragte
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