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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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einmal die Heiligkeitsmaske fallen, riss seinen Mund von Ohr zu Ohr auf, so weit ihm dies irgend möglich war, zeigte ein zackiges Gebiss mit großen, hauerartigen Zähnen, warf den Kopf zurück und lachte ein böses, lautes, wieherndes und dröhnendes Lachen, so dass der schwarze Hund sich aufrichtete und kräftig in den Chor mit einstimmte, während die getigerte Katze mit einem Sprung in den äußersten Winkel des Raumes setzte und von dort aus ein klägliches Miauen hören ließ.
    Ganz anders war das Benehmen des Philosophen. Er war zu sehr Mann von Welt, um sich an den Gefühlsäußerungen des Hundes oder an den eine ungehörige Furcht verratenden Schreien der Katze zu beteiligen. Es darf immerhin nicht verschwiegen werden, dass Bon-Bon ein Gefühl des Erstaunens nicht ganz unterdrücken konnte, als er die weißen Buchstaben, die auf dem in der Tasche des Gastes steckenden Buch die Worte »Rituel Catholique« bildeten, plötzlich ihren Sinn und ihre Farbe verändern sah, so dass anstelle des ursprünglichen Titels mit einem Schlag die Worte »Registre des Condamnés« ihm in roten Lettern entgegenfunkelten. Diesem aufregenden Umstand ist es wohl zuzuschreiben, dass die Antwort auf die Bemerkung des Gastes in einem sonst bei Bon-Bon nie gehörten Tone von Verlegenheit gegeben wurde.
    »O, mein Herr«, sagte der Philosoph, »o, mein Herr, ehrlich gesagt, glaube ich, Sie sind – auf mein Ehrenwort – der Leibh… selbst – das heißt, ich glaube – ich denke – ich habe einen schwachen – ich habe einen sehr schwachen Begriff – von der überwältigenden Ehre – – –«
    »O! – ah! – ja! – sehr gut!«, unterbrach hier Seine Majestät; »bemühe dich nicht weiter, ich sehe wie die Dinge liegen.« Darauf nahm er seine grüne Brille ab, wischte sorgfältig die Gläser mit dem Ärmel seines Überrockes und steckte die Brille in die Tasche.
    War Bon-Bon schon über das Erlebnis mit dem Buch erstaunt gewesen, so nahm seine Verblüffung wesentlich zu bei dem Schauspiel, das sich nun seinen Augen darbot. Als er mit dem Gefühl lebhafter Neugier seine Blicke erhob, um die Augenfarbe seines Gastes festzustellen, fand er sie entgegen seinen Erwartungen weder schwarz noch grau, wie es schließlich auch seinen Vorstellungen entsprochen hätte, weder gelb noch rot noch violett noch weiß noch grün noch von irgendeiner oben im Himmel oder unten auf Erden oder im Wasser unter der Erde auffindbaren Farbe. Kurz, Pierre Bon-Bon sah nicht nur, dass Seine Majestät überhaupt keine Augen hatte, sondern er konnte auch keine Spuren von einer früheren Anwesenheit derselben entdecken; denn der Platz, welchen die Natur den Augen sonst anweist, war einfach eine – Fleischfläche.
    Es lag aber nicht in der Natur des Metaphysikers, sich der Frage zu enthalten, woher dieses außergewöhnliche Verhalten stamme; und Seine Majestät antwortete würdig, befriedigend und ohne Zögern.
    »Augen? Mein lieber Bon-Bon, Augen? Sagtest du nicht so? – Oh! – Ah! – Ich verstehe. Die lächerlichen Drucke, die im Umlauf sind, haben dir eine falsche Vorstellung von meinem Äußeren beigebracht. Augen, Pierre Bon-Bon, sind gut und schön an ihrem richtigen Ort – der ist, wie du behaupten möchtest, der Kopf? Richtig – der Kopf eines Wurms. Auch dir sind diese Sehwerkzeuge unentbehrlich, ich werde dich aber überzeugen, dass meine Sehkraft durchdringender ist als die deine. In der Ecke dort sehe ich eine Katze, eine hübsche Katze; sieh sie dir an, beobachte sie gut. Nun, Bon-Bon, kannst du ihre Gedanken erkennen – die Gedanken, sage ich, die Überlegungen, die Vorstellungen, die sich in ihrem Schädel entwickeln? Da hast du’s ja – du kannst es nicht. Sie denkt, dass wir die Länge ihres Schwanzes und die Tiefgründigkeit ihres Gemütes bewundern. Sie ist eben mit sich darüber ins Reine gekommen, dass ich der ausgezeichnetste aller Priester bin und dass sie in dir den oberflächlichsten aller Metaphysiker erblickt. Du siehst also, dass ich keineswegs ganz blind bin; aber für einen meines Standes würden die Augen, von denen du sprichst, nur eine Last und im Übrigen jederzeit der Gefahr ausgesetzt sein, durch eine Röstgabel oder durch eine Ofengabel aus den Höhlen gerissen zu werden. Ich gestehe allerdings zu, dass dir diese optischen Dinger hier unentbehrlich sein mögen. Bemühe dich also, Bon-Bon, sie gut zu gebrauchen; – meine Sehkraft aber liegt im Innern.«
    Hierauf schenkte sich der Gast von dem Wein ein, der auf

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