Gesammelte Werke
Lächelns brachte. Schließlich wagte ich einen Vorstoß. Ich beschloss, eine Reihe versteckter Andeutungen oder Vermutungen hinsichtlich der länglichen Kiste fallen zu lassen – gerade ausreichend für ihn, wahrzunehmen, dass ich nicht so völlig die Zielscheibe seiner kleinen, liebenswürdigen Mystifikation geworden war. Zunächst beabsichtigte ich, aus dem Hinterhalt vorzugehen. Ich sagte etwas über die »sonderbare Form jener Kiste«; und während ich das sagte, lächelte ich verständnisvoll, zwinkerte mit den Augen und stieß ihn sanft mit dem Zeigefinger in die Rippen.
Die Art und Weise, in der Wyatt diesen harmlosen Spaß aufnahm, überzeugte mich sofort, dass er irrsinnig war. Zuerst starrte er mich an, als sei es ihm unmöglich, den Sinn meiner Bemerkung zu erfassen; schließlich aber war er doch allmählich in sein Hirn eingedrungen, und je mehr und mehr das geschah, desto weiter traten seine Augen aus den Höhlen. Dann wurde er sehr rot, dann entsetzlich bleich, dann, als amüsiere mein Ausspruch ihn höchlich, begann er laut und gewaltsam zu lachen – das tat er mit immer größerer Heftigkeit zehn Minuten lang oder mehr. Endlich fiel er der Länge nach schwerfällig aufs Deck nieder. Als ich hinzueilte, um ihn aufzuheben, schien es, als sei er tot.
Ich rief Hilfe herbei, und mit großer Mühe brachten wir ihn wieder zu sich. Als er erwachte, redete er zunächst irre. Schließlich ließen wir ihn zur Ader und brachten ihn zu Bett. Am anderen Morgen hatte er sich wieder ganz erholt – soweit es seine leibliche Gesundheit betraf. Von seinem geistigen Zustand sage ich selbstredend nichts. Auf Anraten des Kapitäns, der meine Anschauung über sein Leiden völlig teilte, mir aber riet, keinem Menschen an Bord etwas davon zu sagen, mied ich für den Rest der Überfahrt seine Gesellschaft.
Kurz nach diesem Anfall Wyatts ereignete sich allerlei, was die Neugier, die mich erfüllte, noch steigerte. Unter anderem dies: Ich war sehr nervös gewesen, hatte zu viel starken, grünen Tee getrunken und hatte daher eine schlechte Nacht. – Richtiger gesagt, waren es zwei Nächte, in denen ich fast gar nicht schlief. Nun führte die Tür meiner Kabine in die Hauptkajüte oder den Speisesaal, wie alle einschläfrigen Kabinen an Bord. Wyatts drei Räume befanden sich in der Nebenkajüte, die von dem Hauptraum durch eine leichte Gleittür getrennt war; diese Tür war aber nie verschlossen, selbst des Nachts nicht. Da wir fast immer guten, ja sogar kräftigen Wind hatten, so neigte sich das Schiff sehr erheblich leewärts; und immer, wenn das Steuerbord leewärts lag, glitt die Tür zwischen den zwei Kajüten auf und blieb offen stehn, da niemand sich die Mühe nahm, aufzustehen und sie zu schließen. Wenn nun meine eigene Kabinentür ebenso wie die erwähnte Gleittür offen stand (und meine eigene Tür war wegen der großen Hitze immer offen), so konnte ich von meinem Lager aus ganz deutlich die Nebenkajüte überblicken und auch jenen Teil, wo sich die Kabinen Wyatts befanden. Da sah ich nun in zwei nicht aufeinanderfolgenden Nächten, wie gegen elf Uhr Frau Wyatt vorsichtig aus der Kabine Herrn Wyatts herauskam und die Extrakabine betrat, wo sie bis Tagesanbruch verblieb. Um diese Zeit wurde sie von ihrem Gatten gerufen und kehrte zu ihm zurück. Dass sie tatsächlich getrennt lebten, war mir nun klar. Sie hatten getrennte Zimmer – zweifellos, weil sie eine dauerndere Trennung beabsichtigten; hier also, dachte ich, liegt das Geheimnis der Extrakabine. Da war noch ein weiterer Umstand, der mich sehr interessierte. In den zwei genannten Nächten und kurz nachdem Frau Wyatt in der Extrakabine verschwunden war, wurde meine Aufmerksamkeit von eigentümlichen, behutsamen, wie absichtlich gedämpften Geräuschen aus dem Zimmer ihres Gatten gefesselt. Nachdem ich eine Zeit lang aufmerksam gelauscht hatte, gelang es mir schließlich, ihre Bedeutung festzustellen. Es waren Geräusche, die der Maler durch Öffnen der länglichen Kiste mit Hilfe von Meißel und Hammer verursachte; die Schläge des Letzteren suchte er offenbar dadurch zu dämpfen, dass er das Eisen mit weichem Stoff umhüllt hatte.
Ich glaubte sogar den Augenblick feststellen zu können, in dem er den Deckel völlig abgelöst hatte – auch konnte ich deutlich hören, wie er ihn abhob und auf das untere Bett der Kajüte hinlegte. Letzteres z.B. erriet ich aus dem leichten Anstoßen des Deckels gegen die Holzleisten des Bettes bei den Versuchen, ihn recht
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