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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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dieser ›Kamelopard‹ ist niemand anders als Antiochus Epiphanes – Antiochus der Große, König von Syrien, der mächtigste aller orientalischen Autokraten! Es ist nicht zu leugnen, dass man ihn auch manchmal Antiochus Epimanes (Antiochus den Tollen) nennt, aber das liegt nur daran, dass nicht alle Menschen fähig sind, seinen Verdiensten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Man muss auch zugestehen, dass er sich augenblicklich in einer Tierhaut verbirgt und sich alle Mühe gibt, die Rolle eines Kameloparden zu spielen; aber das tut er nur, um seine Königswürde mehr zu betonen. Im Übrigen ist der König von riesenhafter Gestalt, und darum ist für ihn diese Tracht weder zu groß noch unvorteilhaft. So können wir uns also darauf verlassen, dass er sie nur angenommen hat, um bei einer besonderen Gelegenheit außergewöhnlich prunkvoll aufzutreten. Sie werden doch zugeben, dass die Niedermetzelung von tausend Juden ein würdiger Anlass dazu ist. Wie hoheitsvoll und würdig wandelt der Monarch auf allen vieren dahin! Sie bemerken, dass seine zwei Lieblingskonkubinen, Elline und Argelais, seinen Schwanz hoch halten. Seine ganze Erscheinung wäre unendlich einnehmend, wenn nicht die Augen so aus dem Kopf hervorquellen würden und das Gesicht nicht eine so unbeschreiblich widerliche Farbe zeigte – eine Folge des im Übermaß genossenen Weines. Wir wollen ihm zum Hippodrom folgen und dem Triumphgesang lauschen, den er anstimmt:
    Wer herrscht außer Epiphanes?
    Sagt es mir doch!
    Wer herrscht außer Epiphanes?
    Hurra! Hoch!
    Keiner außer Epiphanes
    Im Weltenhaus!
    So reißt die Tempel nieder,
    Und löscht die Sonne aus!
    Schön und wacker gesungen! Die Volksmenge ruft ihm ›Fürst der Dichter‹, ›Ruhm des Ostens‹, ›Wonne des Weltalls‹, ›wunderherrlichster Kamelopard‹ zu. Sie haben nach einer Wiederholung seines Gesanges verlangt, und – hören Sie? Er singt ihn noch einmal. Sobald er am Hippodrom angelangt sein wird, wird man ihn mit dem Dichterkranz schmücken, dem Vorläufer des Kranzes, der ihn nach seinem Sieg bei den nächsten olympischen Spielen schmücken wird.«
    »Aber, beim Zeus, was ist denn in der Menge hinter uns für eine Bewegung?«
    »Hinter uns, sagten Sie? O ja! Ich sehe. Es ist gut, mein Freund, dass Sie mich beizeiten darauf aufmerksam machten. Lassen Sie uns schnell ein Plätzchen gewinnen, wo wir uns in Sicherheit befinden. Verstecken wir uns hier im Bogen dieses Aquädukts, und ich will Sie dort gleich über die Ursache dieser Verwirrung aufklären. Es ist genau so gekommen, wie ich voraussah. Die seltsame Erscheinung der Giraffe mit dem Menschenkopf hat, wie es scheint, das Anstandsgefühl der in der Stadt gezähmten wilden Tiere beleidigt. Die Folge ist ein Aufruhr; und, wie immer bei solchen Gelegenheiten, ist Menschenmacht nicht imstande, die aufständische Menge zu beruhigen. Schon sind mehrere Syrier zerrissen, aber die allgemeine Stimmung scheint bei den vierfüßigen Patrioten dahin zu gehen, die Giraffe aufzuspeisen. Der ›Fürst der Dichter‹ hat sich daher, um sein Leben zu retten, auf seine Hinterfüße erhoben. Seine Höflinge haben ihn im Stich gelassen, seine Konkubinen sind diesem edlen Beispiel gefolgt. Dein Zustand ist traurig, ›Wonne des Weltalls‹! Du bist in Gefahr, zerfleischt zu werden, ›Ruhm des Ostens‹! Darum sieh nicht so jammervoll nach deinem Schwanz, er wird ja doch unzweifelhaft durch den Kot gezogen werden, dagegen gibt es nun kein Mittel. Sieh dich nicht um und bekümmere dich nicht um seine unvermeidbare Erniedrigung! Fass dir ein Herz, setze kräftig deine Beine in Bewegung, und fort zum Hippodrom! Vergiss nicht, dass du Antiochus Epiphanes – Antiochus der Große bist und außerdem ›Fürst der Dichter«, ›Ruhm des Ostens«, ›Wonne des Weltalls«, ›der wunderherrlichste Kamelopard«. Himmel, welche Schnelligkeit du entwickelst! Welche Vollendung in der Kunst des Ausreißens! Gib Fersengeld, Fürst! – Bravo, Epiphanes! – Herrlich hinausgeführt, Giraffe! – Ruhmvoller Antiochus! Er rennt, er springt, er fliegt! Gleich einem vom Katapult geschleuderten Pfeil saust er dem Hippodrom zu! Ein letzter Satz! Ein Schrei! Es ist erreicht! Ein Glück für dich, denn hättest du, o ›Ruhm des Ostens‹, auch nur eine halbe Sekunde später die Pforten des Amphitheaters erreicht, so wäre in ganz Epidaphne auch nicht ein Bärenbengel gewesen, der sich nicht ein Mäulchen voll von deinem Kadaver geleistet hätte. Nun aber vorwärts!

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